J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 16. Gegenmaßregeln

die Unverletzlichkeit von Siegel und Brief dahingeschwunden sei10). Goethe wußte ebenso darum wie Gentz, der ja selbst zuweilen „operiert“ und sich für seine Privatkorrespondenz sorgfältig ausgewählter Mittelspersonen bedient hat11). In Frankreich rührte Beaumarchais schon 1781 offen an diese Dinge. Da und dort suchte man sich mit geheimen Siegelkennzeichen zu helfen. Auch in Österreich sprach man schon 1806 „so ziemlich laut davon“. Der bayrische Gesandte verfaßte seine Berichte mit Vorbedacht so, daß sie allenfalls auch österreichischerseits gelesen werden konnten. Graf Pralormo, der sardinisdie Vertreter am "Wiener Hofe, muß um die heimliche Auflösung seiner Ziffern­schlüssel gewußt haben; er verlangte, um ihr vorzubeugen, im Dezember 1831 neue in Turin12). Und kam die Briefpost am hellen Tage in offenen Kaleschen in Wien an, dann folgte ihr sogleich ein Haufen Neugieriger, holte den Postillon über Ausgangspunkt und Inhalt seiner Felleisen aus, umlagerte das Postamt, spähte durch die Fenster und gab nicht selten deutlich zu ver­stehen, daß man um die geheime Verbindung zwischen Obersthofpostamt und Geheimer Ziffernkanzlei (S. 15) wußte13). Zuweilen entschied schon ein ver­langsamter oder beschleunigter Postenlauf über Mißtrauen oder Zutrauen des Publikums. Den Diplomaten des Wiener Kongresses war die geheime Eröffnung ihrer Korrespondenzen keineswegs fremd. Daß sich „der doch so kluge“ Mazzini der regulären Briefpost bedient hat, ist österreichischerseits nicht ohne Befriedigung vermerkt worden. Spaßvögel, die die Verhältnisse kann­ten, haben den Postlogisten durch versteckte Injurien und Falschmeldungen — etwa über eine bevorstehende Pensionierung o. dgl. — viel Ärger und Ver­druß bereitet14). Der Brünner Logist Kresa war Gegenstand höchst unliebsamer Witzworte. Sein venezianischer Kollege ließ sich sogar von Briefaufgebern auf frischer Tat ertappen. 16. Gegenmaßregeln. Ein lebhafter, finten- und ränkereicher Kleinkrieg zwischen den staat­lichen Organen des Geheimen Dienstes und den davon betroffenen Diplomaten und Privatpersonen ist darüber entbrannt. Der Abwehrmittel, die diese dabei anwendeten, hat man sich, wenn es die Sachlage erforderte, auch auf der Gegenseite bedient. Eine erstaunliche Fülle verschiedenartigster Kampfes­weisen, ein hoher Grad technischer Leistungsfähigkeit ist beiderseits entfaltet worden. Der Sieg in diesem Ringen wird wohl den österreichischen Postlogisten und Dechiffreuren zuzusprechen sein. Ihrem Lager entstammt ja unser Wis­sen um diese Dinge; wäre es anders gewesen, wir hätten nur wenig darüber zu sagen. Die geheime Briefentsiegelung zu erschweren oder ganz zu verhindern ist nur selten versucht worden. Daß Joachim Murat von Neapel seine Briefe mittelst zweier, auf seidenen Schnüren angebrachter Randsiegel verschließen ließ, geht vielleicht auf derartige Beweggründe zurück. Sie werden wohl auch mit im Spiele gewesen sein, wenn sich die deutschen Briefschreiber nach 1806 mit Vorliebe eines dünnen Papiers ohne Lacksiegel bedienten; vorwiegend 10) Memoire (Anm. 10 S. 12). u) A. Fournier, Gentz u. d. Geh. Kab. 227 ff. 12) Fr. S a 1 a t a 1. c. 99. 13) Vorträge (Anm. 5 S. 8 und Anm. 23 S. 16). 14) B. Crole 1. c. 82, 435 f. 36

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