J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 15. Die „Aufrichtigkeit“ der fremden Regierungen und des Publikums

über die Entzifferung deutscher Zififernschriften und 1797 der schon erwähnte Exlogist (S. 5) eine Abhandlung über das Brieferbrechen erscheinen lassen. Zwei Jahre später hatten die Briefe eines Franzosen über die geheime Polizei in Wien (Straßburg 1799) den Gegenstand aufs neue berührt. Frankreich, Preußen und die deutschen Reichshöfe wurden dadurch veranlaßt, den Post­logen erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden2). Das Ende des alten Reiches trug dazu bei, die neuen Regierungen in Deutschland mit der geheimen Postmanipulation bekannt zu machen; mit der Ausbildung der deutschen Postpolizeien kam die Brieferöffnung an die Tages­ordnung. Bald scheuten die italienischen Kleinstaaten den Postweg durch Österreich ebenso wie die europäischen Großmächte. England zog die fran­zösische Route nach Italien, Rußland die preußische dem Transit durch Öster­reich vor. Ganz unumwunden haben sich Vaulchier, der französische General­postdirektor, und Graf Se'bastiani, der französische Außenminister, in diesem Sinne geäußert3). Wilhelm und Caroline von Humboldt wandten den Brief­siegeln ihre volle Aufmerksamkeit zu. Wilhelm wußte, daß Abschriften seiner Briefe auf Metternichs Schreibtisch kamen und daß sie selbst in den Brief­paketen seiner vertrautesten Funktionäre nicht sicher waren4 *). Und Graf Solaro, der sardinische Außenminister, hat es Metternich einmal sehr geschickt zu verstehen gegeben, daß ihm die geheime Eröffnung seiner politischen Kor­respondenz nicht entgangen war6). Denn Sambuy, sein Wiener Vertreter, kannte den Grad der Vollendung, den der Geheime Dienst im Österreich der Metternichzeit erreicht hatte: daß er alle Ziffernschlüssel aufzulösen verstand und darin alle europäischen Staatskanzleien, selbst die französische, übertraf. Wohl suchte dem Sambuy durch Überprüfung der Briefsiegel, durch häufigeren Wechsel und bessere Anlage der Ziffernschlüssel vorzubeugen und doch war er sich dabei gleich seinem russischen und preußischen Kollegen der Tatsache bewußt, daß sie dem österreichischen Geheimen Dienst doch nicht entgehen könnten6). Andere suchten ihre Kenntnis dieser geheimen Dinge dadurch zu ver­werten, daß sie ihre Briefe darnach einrichteten. Schon 1751 hat Maria Theresias geheimer Sekretär Baron Koch, der Leiter des österreichischen Ziffern­dienstes, bezüglich der diplomatischen Korrespondenz des französischen Ge­sandten Vermutungen solcher Art laut werden lassen7). Die Zarin Katharina ließ in ihre über Berlin laufenden Briefe Urteile und Ansichten einfließen, die nicht für den Adressaten, sondern lediglich für Friedrich II. bestimmt waren. Ebenso ist es, wie Napoleon I. sehr wohl wußte, in Frankreich geübt worden8). Auch Gentz hat sich damit unterhalten, Briefe in der Absicht zu schreiben, daß man sie von Amts wegen eröffne und heilsame Wahrheiten darin ent­decke 9). Im Reiche führte das Publikum nach 1806 seine Korrespondenz mit äußerster Behutsamkeit, und offen klagten deutsche Schriftsteller darüber, daß 2) Punktation (Anm. 5 S. 10); Gutachten Löschners (Anm. 1 S. 31). 3) Berichte Liliens 25 I 10, 31 I 1 Frankreich 98, Friedensakten 159. ’) Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen 4, 12 7 f., 219 f. u. ö. 6) N. B i a n c h i, Storia della polit, austr. 77. 6) M. Alberti 1. c. 1, 12, 321, 396 f., 416 f. 7) H. Schütter 1. c. 83. 8) A. Fournier, Gentz u. d. Geh. Kab. 223. 9) A. Fournier 1. c. 227 ff. 3 35

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