J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)
I. Die Postlogen - 15. Die „Aufrichtigkeit“ der fremden Regierungen und des Publikums
ordentlichen Kuriere fremder Staaten, vor allem aber die österreichischen selbst. Je weiter sie nämlich Metternich ins Ausland vorzutreiben verstand und je weniger er ein Gleiches den fremden Kurieren zuerkennen wollte, um so leichter wurde es ihm möglich, die fremden Regierungen dazu zu bestimmen, den diplomatischen Schriftwechsel mit ihren Wiener Gesandten den österreichischen Kurieren anzuvertrauen. So führte Metternich mit viel Geschick der Geheimen Ziffernkanzlei jenen Teil der diplomatischen Auslandkorrespondenz wieder zu, der den Postlogen entglitten war4). England, Frankreich, Sardinien und Bayern bedienten sich nachweisbar — zum mindesten zeitweilig — österreichischer Kuriere. Bei England, Rußland und Sardinien — zuweilen auch bei Frankreich, Preußen und der Türkei — war auch das Gegenteil der Fall. England und Preußen galten als unerfahren im Postlogendienst5), bei Rußland und Sardinien mögen Metternichs vertrauliche Beziehungen zu Tatistscheff und Pralormo zur fallweisen Verwendung ihrer Kuriere beigetragen haben. Zuweilen bediente sich Metternich für die Korrespondenz mit seinen Gesandten in Paris und London auch der Kuriere des Fiauses Rothschild. Wie Hormayr berichtet und König ihm nachgeschrieben hat, soll Kaunitz die preußischen Kuriere durch Bestechung dazu bestimmt haben, ihre Felleisen jedesmal auf der Strecke Pirna—Langenzers- dorf (bei Wien) den österreichischen Postlogisten zu übergeben, die sie während der Reise — im Kurierwagen also — durchsucht, „operiert“ und inter- zipiert hätten. Das ist aber wohl ebenso erfunden wie die weitere Mitteilung Flormayrs, daß vor Ausbruch des russisch-türkischen Krieges von 1828 Met- ternich-Rothschildische Spezialkommissäre im Interesse des Börsenspiels die türkische Post zu Fischamend erbrochen hätten6). Möglicherweise hat es sich in beiden Fällen um die beschleunigte Voraussendung bestimmter Depeschen, wie dies im 18. Jahrhundert in Kursachsen gehandhabt worden ist, gehandelt7). 15. Die „Aufsichtigkeit“ der fremden Regierungen und des Publikums. Als Metternich im Dezember 1816 Kaiser Franz über die Geheime Ziffernkanzlei Bericht erstattete, da stellte ihm dieser die Frage, ob sich vermuten lasse, daß die Existenz derselben den fremden Höfen und Ministern unbekannt sei, und Metternich mußte ihm antworten, daß die Briefinterzipierung weder den fremden Höfen und Ministern noch einem großen Teile des Publikums ein Geheimnis sei *). Das war teils auf die Auswirkungen der Französischen Revolution, teils auf das Ende des alten Reiches zurückzuführen. In den 1793 als „un nouveau bienfait de la revolution“ zu Paris herausgegebenen geheimen Berichten des Grafen Broglie an Ludwig XV. — man hatte sie eben im Kabinette seines unglücklichen Nachfolgers entdeckt — fand sich ein Hinweis auf das geheime Postbüro von Paris, der „die deutlichsten Merkmale der Existenz und des Umfanges des Geheimen Dienstes“ enthielt und alle europäischen Kabinette auf die Dechiffrierkunst aufmerksam machte. Außerdem hatte schon zehn Jahre früher ein Duisburger Arzt, Dr. Kortum, eine Schrift 4) Prokesch-Osten 1. c. 120. 5) K. Mendelssohn-Barthold i, Briefe Gentzens an Pilat 2, 39. 6) J. Hormayr 1. c. 79 f.; B. Crole 1. c. 430 f. 7) B. Crole 1. c. 429 f. J) Vortrag 16 XII 14 Vorträge 303; Vortrag 17 XI 25 (Anm. 24 S. 16). 34