J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)
I. Die Postlogen - 13. Eigene und fremde Ziffernschlüssel
können — Abschriften der gelieferten Ziffernschlüssel zurückbehalten, wodurch ihm alle damit chiffrierten diplomatischen Aktenstücke mühelos zur Lektüre offenstanden. Das war wahrlich keine Kunst. Für einen Ruhmestitel aber und für eine den übrigen Staaten unerreichbare Höchstleistung hat die Geheime Ziffernkanzlei die Tatsache angesehen, daß sie Dechiffreure besaß, denen kein fremder Ziffernschlüssel standzuhalten vermochte, ein „wahres Kleinod“ in der Krone des Herrschers, das diesem höchstes Interesse einflößte und ihm die Regierungsgeschäfte außerordentlich erleichterte. Karl VI. beschied jeden erfolgreichen Dechiffreur in sein Kabinett und entlohnte ihn eigenhändig. Maria Theresia hat der „sehr nützlichen Dienste“ ihres Kabinettskanzleipersonals in ihren Testamenten zu wiederholten Malen gedacht. Das Ausland verfolgte — soferne es davon Kenntnis erhielt — die Leistungen der österreichischen Dechiffreure mit ehrfürchtigem Staunen. Selbst die Bildung der Staatengeschichte vermochten sie, wie Cobelli rühmend bemerkt, zu beeinflussen. Eine rechtzeitig entzifferte preußische, Kriegsvorbereitungen enthüllende Depesche soll Josef II. 1789 zum Friedensschlüsse bestimmt haben. Auf dem Kongresse von Chatillon und namentlich auf dem Wiener Kongresse haben sich die österreichischen Dechiffreure besonders ausgezeichnet. Die entzifferten Interzepte zahlreicher europäischer Staatskanzleien, über die der Direktor der Geheimen Ziffernkanzlei schon um 1730 verfügte (S. 28), gewähren im Vereine mit jenen, die während des Wiener Kongresses gewonnen worden sind, ein anschauliches Bild. Leicht ist Koch der fremden Ziffernschlüssel Herr geworden, mochten sie auch noch so häufig gewechselt werden und noch so schwierig gestaltet sein; „nous passons“, so sagt er selbst einmal, „malheureusement pour étre trop habiles dans cette art“ 4). Es kann wundernehmen, daß dieses Geheimnis vor den europäischen Höfen nicht so streng behütet worden ist, wie es erforderlich gewesen wäre. Schon 1786 hatte man „den politischen Schnitzer“ begangen, dem russischen Kabinette diese Kunst zu verraten und es zur Einsendung der interzipierten schwedischen Chiffrekorrespondenzen aufzufordern, da es selbst keine Dechiffreure besaß. Tausend Dukaten hat Kronenfels 1795 von Rußland hiefür empfangen5 6). Zum zweitenmal ist das Geheimnis 1817 im Postlogenvertrage mit Toskana gelüftet worden (S. 16 f.) — mit dem stillschweigenden Vorbehalte allerdings, daß der Inhalt der aufgelösten Zifferninterzepte Toskana nur auszugsweise und in so allgemeinen Wendungen mitgeteilt werde, daß der Florentiner Hof die Struktur der Ziffernschlüssel nicht zu erkennen vermochte und daher nicht in die Lage kam, selbst Dechiffreure heranzubilden. Zum drittenmal 1833 Rußland, zum viertenmal 1835 Sardinien gegenüber (S. 3)“). Wie groß die Zahl der aufgelösten fremden Ziffernschlüssel — zumal der französischen, die stets die Hauptrolle spielten — gewesen sein muß, läßt sich der Tatsache entnehmen, daß der Ziffernkanzleidirektor Eichenfeld 1823 auf 85 fremde Zifferschlüssel in verschiedenen Sprachen und von sehr schwierigen Methoden verweisen konnte, die er aufgelöst hatte7). Sehr schwierig 4) H. Schütter 1. c. 125; A. Fournier, Geheimpolizei 280, 479 u. ö.; auch M. W e i 1 1. c. 6) E. K ö n i g 1. c. 45 ff. °) Vortrag (Anm. 4 S. 17). 7) Eichenfeld an Mett. 23 IV 16 Notenwechsel Kabinett 1. 32