J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 9. Die Interzepte

viel häufiger wohl, als es sich heute noch nachweisen läßt, mögen Metternich neben den ihm freiwillig im Original oder in Abschrift kommunizierten aus­ländischen diplomatischen Aktenstücken zugleich auch die Interzepte derselben Vorgelegen haben, wodurch er in die Lage versetzt wurde, sie auf Inhalt und Vollständigkeit nachzuprüfen. „Ich bin neugierig zu sehen,“ so schreibt er in diesem Sinne 1828 an Gentz, „ob Lord Cowley mir den (offenbar in Inter- zeptform) beiliegenden Brief seines Kollegen zu Petersburg zeigen wird“16). Selbst die Briefe des bayrischen, ihm doch so ungewöhnlich vertrauten Staats­mannes Fürst Wrede hat Metternich der geheimen Kontrolle unterziehen lassen; noch heute liegt z. B. Wredes an Metternich gerichtetem Schreiben vom 1. No­vember 183117) das Interzept eines Briefes desselben an den bayrischen Ge­sandten vom 2. November bei. Welch ein merkwürdiges Nebeneinander von Vertrauensbeweis und Vertrauenskontrolle! Eine ähnliche Stellung hat Metternich dem Hause Rothsdiild gegenüber eingenommen. Bald legte es ihm wichtige Auslandbriefe zur Einsicht vor, bald kamen sie ihm in Interzeptform zur Kenntnis18). Sowohl die Rothschild als auch die Bethmann wußten davon. Wiederholt haben sich jene zum Zwecke der Sicherung ihrer Korrespondenz — allerdings erfolglos — des Frankfurter Gesandtschaftssiegels bedient. Noch in den Siebzigerjahren haben Frankfurter Bankhäuser — den alten Brauch zeitgemäß fortsetzend — Be­stechungen von Telegraphenbeamten versucht19). Uber der aktuellen Bedeutung der täglich neugewonnenen Interzepte wurde ihr historischer oder persönlicher Wert wenig beachtet. Man war sich der Eigenart dieses Nachrichtenmaterials so sehr bewußt, daß man die Inter­zepte, sobald sie ihren Gegenwartswert verloren hatten, mit nicht geringerem Eifer zu beseitigen trachtete, als man sich um die Gewinnung derselben bemüht hatte. So waren schon im Siebenjährigen Kriege zahlreiche Interzepte aus Furcht vor einer Eroberung Wiens durch die Preußen „in engster Geheim durch Feuer und Wasser vertilgt worden“ 20). Ähnlich wurde es 1826 mit vier aus dem kaiserlichen Kabinett stammenden, das Frankreich der Revolution betreffenden Interzeptfaszikeln gehalten. Nur in seltenen, besonders inter­essanten Fällen entgingen die Interzepte diesem Schicksale. Ansonsten ließ sie Metternich von sechs zu sechs Monaten der Geheimen Ziffernkanzlei zur Ver­tilgung überantworten. Diese pflegte meist noch einen Zeitraum von einigen Jahren verstreichen zu lassen, ehe sie sie dem Feuerofen übergab. Als aber im März 1848 der Pöbel in die Stallburg eindrang — man wußte nun durch die „schmählichen Publikationen der Presse“ um die Geheimnisse, die sie barg (S. 36) —, hat sie Hofrat Zaremba ohne Ausnahme verbrennen lassen21). Noch vor Ablauf des Monats wurde die geheime Brieferöffnung eingestellt. Sicherer und deutlicher konnten nunmehr die Meinungen und Wünsche des Volkes der zensurfreien Presse entnommen werden. Der Umkreis jener Personen, deren Korrespondenz interzipiert worden ist, erstreckte sich bis weit hinein in die hohen und höchsten Gesellschafts­16) F. Wittichen 1. c. 3/2, 336. 17) V. Bibi, Mett, in neuer Beleuchtung 259 ff. 1S) Schreiben an Rothsdiild aus Paris 20 II 14 Frankreich 93; Vortrag 31 III 20 Vor­träge 390. 19) E. Corti, Haus Rothschild 1, 236 ff.; B. Crole 1. c. 435. 20) Vortrag 1774 II 20 Vorträge 172 (freundliche Mitteilung Herrn Dr. Auners). 21) Bericht Schweigers 52 II 15 Interiora 6.

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