J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)
I. Die Postlogen - 9. Die Interzepte
schichten des In- und Auslandes22). Selbst die Kaiserin Maria Ludovika, Franzens dritte Gemahlin, entging — zumal im Sommer 1812 — der Briefdurchforschung nicht. Alle Schreiben, die sie der Staatskanzlei zur Weiterbeförderung übergab, passierten, ehe sie abgesendet wurden, die Geheime Ziffernkanzlei. Ebenso wurde mit den an Maria Ludovika gerichteten Briefen verfahren. Sie bemerkte es wohl, denn sie ließ wegen der Verspätung ihrer Briefe Nachforschungen pflegen, suchte auch durch unmittelbare Aufgabe derselben bei den Postämtern oder unter Mithilfe ausländischer Gesandter der Staatskanzlei auszuweichen23). Umsonst. Die Wiener Postloge spürte sie auf und überantwortete sie der Geheimen Ziffernkanzlei zur Durchforschung. Und wenn sie dann in Interzeptform Kaiser Franz vor Augen kamen, dann ließ ihnen dieser durch Metternich nachgehen und nähere Daten über den Umkreis, die Mittel und Wege dieser Geheimkorrespondenz sammeln24). Ähnlich verhielt es sich mit der Korrespondenz Maria Louisens, der Kaiserin der Franzosen. Es scheint, als ob Napoleon Verspätungen der an sie gerichteten Briefe wahrgenommen habe; er ließ protestieren und Abhilfemaßregeln androhen 25 26). Ein Gleiches war bei den Korrespondenzen der Erzherzoge und Erzherzoginnen der Hauptlinie wie der Nebenlinien der Fall; noch sind Interzepte von Briefen der Erzherzoge Karl, Josef und Johann, der Brüder des Kaisers Franz, seines Neffen Erzherzog Stephan sowie der Erzherzoge Franz, Ferdinand und Maximilian von Modena und deren Mutter oder dodi wenigstens Nachrichten hierüber vorhanden. 1813 erhielt der Palatin Erzherzog Josef auf Grund eines solchen Interzeptes von Kaiser Franz einen scharfen Verweis28). Von ausländischen Souveränen liegen Interzepte von Korrespondenzen des Papstes, Napoleons, des Zaren, der Könige von Bayern und Neapel und anderer vor, die beweisen, wie sehr man österreichischerseits auf sie achtete. Selbst die Beamten der Staatskanzlei entgingen, gleich dem Feldmarschall Fürsten Karl Schwarzenberg, der heimlichen Durchforschung ihrer Privatkorrespondenzen nicht; mit Vorbedacht gestattete ihnen Kaiser Franz zu diesem Zwecke die Mitbenützung der amtlichen Dienstpakete. Die Briefschaften von Metternichs Vater und Gattin27) waren ebenso der Kontrolle unterworfen wie diejenigen Gentzens und Jarckes, der Publizisten, Pilats und Zedlitzens, der Literaten, Hammers und Prokesch’, der Orientalisten, Wessenbergs und anderer. Nur der Staatsminister Graf Kolowrat hat sich der Briefüberwachung durch ein geheimes Einverständnis mit der Postverwaltung entzogen. Umsonst suchte der Bourboné Karl X. einen aus seinem österreichischen Exil nach Frankreich geschriebenen Brief unter der Adresse des Pariser Botschafters zu verbergen28). Auch Mignet, der bekannte französische Historiker, und Klind- worth, der hochgeschätzte Konfident, zogen die Aufmerksamkeit der Logisten auf sich. Die Gentz-Interzepte betrafen vielfach seine von Metternich ge2a) Zahlreiche Beispiele hiefür bei A. Fournier, Geheimpolizei, und bei M. Weil 1.c. 23) Vortrag 12 II 17 Vorträge 281; Interzept 14 VII 27 Interzepte 10. 24) Billett an Mett. 12 II 16, Vortrag 12 VI 16 Kaiser Franz-Akten 128; A. Sauer, Goethe und Österreich 1, L ff. 25) Bericht aus Stuttgart 10 VII 21 Württemberg 9. 26) Billett an Erzh. Josef 13 II 7 Vorträge 284. 27) Hudelist an Mett. 15 IX 29 Interiora 79; M. Weil 1. c. n. 2672. 2S) E. Castle 1. c. 496 f.; 31 XI 25 Interzept Frankreich, Varia 125. 2J