J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 9. Die Interzepte

kanzlei gewonnenen Interzepte auch unmittelbar an die Staatskanzlei und die Polizeihofstelle, was — wie Cobelli angibt — zur Entartung des Geheimen Dienstes, der nun auch zur Durchforschung der Korrespondenz der Haus­offiziere hochgestellter Damen dienen mußte, zum Versiegen der Quellen und schließlich zur Auflösung des Institutes geführt hat. Bei der Beurteilung der Interzepte hat man sich in der Staatskanzlei großer Zurückhaltung befleißigt. In voller Ruhe und frei von Leidenschaft wurde die Stimmung des Schreibers ebenso in Betracht gezogen wie dessen Urteilsfähigkeit und Bildungsgrad. Mitteilungen, die die Ruhe und Wohl­fahrt des Staates betrafen, die geheimen Absichten der fremden Höfe und die Umtriebe ihrer Agenten enthüllten oder Urteile über Regierung und Beamte enthielten, wurden mit Interesse aufgenommen, Privatnachrichten grundsätzlich beiseite gelassen8). Der Frankfurter Postrat Heller (S. io) hatte ebenso auf die Amtskorrespondenz der Bundestagsgesandten und der bei derFreienStadtFrank- furt beglaubigten Diplomaten zu achten wie auf den privaten Briefwechsel der­selben und ihrer untergeordneten Organe. Drei Zeitpunkte wurden ihm hiefür als besonders ergiebig namhaft gemacht: wenn Instruktionen eingeholt wurden, wenn diese einliefen und wenn Bundestagsverhandlungen stattfanden9). Weniger rigoros als innerhalb der Staatskanzlei war Metternich bei der Behandlung der Interzepte außerhalb derselben. Seiner Ge­mahlin hat er Einblick in sie gewährt10 *). Auch dem russischen Kabinett hat er einzelne besonders wichtige Interzepte zur Kenntnis gebracht (S. 3). Der russische Gesandte wurde über die Natur derselben nicht im Zweifel ge­lassen. Man begnügte sich damit, ihn zu vorsichtiger Handhabung derselben anzuleiten. Ebenso weit als Rußland ist Metternich auch Toskana (S. 16) und Sardinien gegenüber gegangen, dessen Gesandten er nicht nur Interzepte der französischen Orientpost vorwies, sondern den er auch tief in den österreichi­schen Geheimen Dienst hat Einblick nehmen lassen “). Das Vertrauen, das Metternich dem russischen Gesandten — zumal in den Zwanziger- und Dreißigerjahren — entgegenbrachte, wurde von diesem dadurch erwidert, daß er ihm die Weisungen seines Chefs zur Einsicht vorlegte12). Ähnlich ver­hielten sich Lord Cowley, der englische Botschafter in Wien, und Graf Lieven, der russische Gesandte am englischen Hofe, während der Besprechungen, die Metternich mit König Georg IV. im Herbst 1821 zu Flannover hatte13). 1824 hat Tatistscheff seinen diplomatischen Akteneinlauf Metternich bis Salzburg nachgesendet14). Das Großkreuz des Stephansordens, das er 1823 erhielt, sicherte seine „Mitwirkung für die Zukunft“. Gleichsam als Gegenleistung gab zuweilen auch Metternich seine Weisungen und die Berichte seiner Gesandten preis. Gentzens Briefe und Tagebücher gewähren uns tiefe Einblicke in diese Dinge15). Ein wahres Vertrauensverhältnis hat dennoch nicht bestanden. Denn 8) Mett, an Pralormo (Anm. 2 S. 3). 9) Weisung (Anm. 3 S. 10). 10) Mett, an Hudelist 13 IX 26 Interiora 75; Metternichs nachgelassene Papiere 5, in u. ö.; 6, 25. J1) M. Alberti 1. c. 396 f.; vgl. S. 3. “) Tatistscheff an Mett. 34 III 20 Rußland 30; Prokesch-Osten 1. c. 103. ls) Vortrag 21 XI 4 Vorträge 333. u) Vortrag 24 V 25 Vorträge 351. 15) F. Wittichen, Briefe von und an Gentz 320, 332 f.; L. A s s i n g, Gentzens Tagebücher 3, 54 u. ö., 4, 450; A. Fournier-Winkler, detto 222 ff. 23

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