J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)
I. Die Postlogen - 9. Die Interzepte
nach in- und ausländischen Vorbildern, wie es scheint4), im russischen Gesandtschaftshotel glücklich bewerkstelligten, überaus gefährlichen „Operation“, die ihm „wie durch eine Fügung des Himmels“ Interzepte von sämtlichen geheimen Instruktionen des russischen Kabinetts in die Hände lieferte. Niemals schien ihm ein wichtigerer und glücklicherer Fund gemacht worden zu sein als damals am Vorabende des Aachener Kongresses. Hofrat Braulik, der Seele der Polizeihofstelle, wurde dafür der Ritterstand und dem Hofsekretär Schmidt der Regierungsratstitel verliehen. 1833 glückte es, den französischen Ziffernschlüssel aus dem Schlafzimmer des französischen Legationssekretärs Grafen Saint Aulaire zu entwenden und noch in derselben Nacht unbemerkt wieder zurückzustellen. Es mag da wohl der Kanzler der französischen Botschaft, ein natürlicher Sohn des Generals Andréossy, den Hofrat Braulik 1830 für die tägliche Mitteilung „aller nur möglichen Dokumente“ gewonnen hatte, seine Hand im Spiele gehabt haben5). Verbindungen ähnlicher Art unterhielt die Polizeihofstelle auch mit der englischen Botschaft. So konnte diese 1833 Metternich ein vom englischen Botschaftsattache insgeheim kopiertes Memorial über die Verhältnisse am Wiener Hofe zur Kenntnis bringen. Mit allen Mitteln — Kräften des Geldes und der Liebe — sah der sardinische Gesandte die österreichische Regierung insgeheim auf ihn eindringen; sie bestach seine vertrautesten Diener, sie besaß Doppelstücke aller Schlüssel seines Palais und niemand konnte ihr entgehen6). Im Spiegelbild der Interzepte, die schon Cobenzl sehr hoch eingeschätzt hatte, hat Metternich die Auswirkungen seiner Politik nadi allen Seiten hin überblicken und seine Entschlüsse darnach einrichten können. Wie geschickt er sich zu diesem Zwecke der türkischen Post der westeuropäischen Höfe bedient hat, ist schon oben (S. 8) erwähnt worden. An Hand der Interzepte ließen sich der Eindruck einer Unterredung, der Charakter und die Auffassungskraft des Mitredners und die Qualität seiner Berichterstattung mit Leichtigkeit ermessen; in knappen Notizen hat Metternich seine Urteile hierüber auf die Interzepte gesetzt. Die Aktenstücke, die ihm die fremden Gesandten zur Einsicht- und Abschriftnahme überbrachten — die sogenannten Kommunikate —, sind Metternich auch in Interzeptform zur Kenntnis gelangt. Noch liegen bisweilen Kommunikatabschriften und Interzepte nebeneinander. Auch findet sich auf Interzepten gelegentlich die Notiz, daß das Aktenstück Metternich durch den betreffenden Gesandten kommuniziert worden sei. Die Interzepte unmittelbar und mit ihrem vollen Wortlaute zu verwenden hat man in der Staatskanzlei aus guten Gründen unterlassen. Man wollte sich nicht die Quelle verschütten, aus der man schöpfte. Kein Briefschreiber wurde direkt belangt und der Text eines interzipierten Briefes erst nach sorgfältiger Ausscheidung alles individuellen Beiwerks verwertet7). Abschriften von Interzepten herzustellen und an andere Ämter auszugeben galt lange Zeit als äußerst gefährlich. Eigenhändig eröffnete der Monarch die Inter- zeptpakete. Erst später gingen Abschriften der in der Geheimen Ziffern4) A. Fournier, Geheimpolizei 68, 411; Fr. Walter 1. c. 50 (geh. Auslagen für einen preuß. Bedienten und einen dän. Kanzlisten); A. Fournier, Josef II. 2; E. K ö n i g 1. c. 12, 95. 5) Vorträge 18 IX 4, 19 II 16 Vorträge 315, 31/; Bericht Cobellis 52 X 5 Gend. dep. 437/1853; Eingabe Kestings 54 I 5 BM-Akten 87/1854. e) M. Alberti 1. c. 1, 396 f., 416 f., 481. 7) Vortrag xi VII 7 Kaiser Franz-Akten 78 d. 22