J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 9. Die Interzepte

15.000 Stücke jährlich. In den vorangehenden Jahrzehnten muß sie noch viel höher gewesen sein. Hingewiesen sei ferner auf den ansehnlichen Jahres­ertrag — rund 500 Interzepte — einer einzigen, schon im Niedergange begrif­fenen Auslandloge (S. 17), auf die Tagesdurchschnittsleistung von 80 bis 100 Briefdurchforschungen der Wiener Geheimen Ziffernkanzlei sowie auf die 62 im Wiener Staatsarchive verwahrten Faszikel von Interzepten der Metternichzeit, die unerachtet der rigoros und systematisch geübten periodi- sdien Vernichtung erhalten geblieben sind. Nicht selten waren die Logisten einem solchen Briefandrange ausgesetzt, daß sie, um ihn rechtzeitig bewältigen zu können, sich die Texte gegenseitig in die Feder diktierten. Durch geschickt „kadenzierte“ Aussprache brachte z. B. die Geheime Ziffernkanzlei das Kunst­stück zuwege, daß vier Beamte zu gleicher Zeit und aus einem und demselben Bogen — jeder einem anderen Schnellschreiber, die meist auch „short hand- Schreiber“ waren — diktierten, wobei der Bogen in wenigen Minuten fertig abgeschrieben war. Zuweilen schrieben bis zu sechs Logisten gleichzeitig an einem einzigen Interzepte1). Die ertragreichsten Fördergebiete waren naturgemäß die Postwege, zumal wenn die Ergiebigkeit derselben — wie dies bisweilen versudit worden ist — noch künstlich gesteigert wurde; so verstand sich z. B. Österreich im Postver­trag mit Preußen von 1820 (S. 58) nur dann zur Einräumung des böhmischen Transits für den preußisch-südwestdeutsdhen Korrespondenzverkehr, wenn die Briefe in ungesiegelten, bloß mit Bindfaden zusammengehaltenen Paketen Prag durchliefen. Aber audi sonst blieb keine Gelegenheit ungenützt, um in den Besitz von Interzepten zu gelangen. Die Briefe, die dem österreichischen Ge­sandtschaftssekretär in St. Petersburg auf die Reise nach Wien mitgegeben wurden, entgingen ebensowenig der Eröffnung wie die Schreiben, die der rus­sische Gesandte in Wien der Staatskanzlei zur Weiterbeförderung übergab, oder die Korrespondenzen, die die Herzogin von Oldenburg dem Kurier des Fürsten Metternich anvertraute. Ebenso wurde es mit jenen Korrespondenzen gehalten, die Minister fremder Regierungen den österreichischen Kurieren zur Beförderung übergaben. Leicht wogen Treu und Glauben, wenn staatliche Inter­essen mit im Spiele waren. Und so weit ging das Mißtrauen der Eingeweihten, daß sie — Gentz z. B. und Metternich — ihre Privatkorrespondenz den Kabinettskurieren grundsätzlich nicht anvertrauten2). Selbst versehentlich liegengelassene Briefe entgingen, wenn es sich verlohnte, der heimlichen Durch­forschung nicht. Das Hilfsmittel der „fausse confidence“ war im vormärz­lichen Österreich auch sonst vielfach in Übung. Mit gut gespielter Offen­herzigkeit ließ Metternich die Berichte seiner Gesandten den Mitgliedern des Troppauer Kongresses vorlegen, nachdem er zuvor dafür gesorgt hatte, daß die geheimen Mitteilungen ihm allein in Separatberichten zur Kenntnis ge­bracht wurden 3). Zahlreiche Interzepte wurden unmittelbar durch die Polizeihofstelle ge­wonnen. 1817 legte Graf Sedlnitzky dem Staatskanzler mehrere der neapoli­tanischen Kurierpost entstammende Interzepte vor. Besonders erkenntlich zeigte sich Metternich für das Ergebnis einer von Seiten der Polizeihof stelle ') Bericht Cobellis 52 X 5 Gend. dcp. 437/53; Interzept 2) A. Fournier, Gentz u. d. Geh. Kab. 227 ff. 3) Zirkularweisung 20 X 31 Kongreßakten 39. Interzepte 13. 21

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