J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

I. Die Postlogen - 2. Auf- und Abgabe der Briefe

Zur Vermeidung mehrfacher Brieferöffnungen wurden die Umschläge der durchforschten Briefe meist an den Ecken mit bestimmten unauffälligen Zeichen (roten Strichen u. dgl.) versehen, wodurch zugleich eine Nachkontrolle jener Briefe ermöglicht wurde, die aus Zeitmangel nicht mehr hatten einge­sehen werden können. Auch hiefür gab es besondere Kennzeichen20). Alle Briefe, die Wien durchliefen, durften nur in der Geheimen Ziffernkanzlei eröffnet werden. Berührten sie Wien nicht, dann oblag deren Eröffnung jener Postloge, von der die Interzepte am raschesten dorthin eingesendet wer­den konnten21). Trotz aller Zeichen und Vorschriften ist es aber dennoch immer wieder vorgekommen, daß manche Briefe zwei-, drei- und viermal „operiert“ wurden, ehe sie dem Adressaten zukamen. Namentlich bei Briefen staatsgefährlicher Personen entwickelte sich unter den Logisten ein wahrer Wettstreit; jeder wollte das Lob ernten, eine Entdeckung gemacht zu haben22). Der schriftliche Verkehr zwischen den Postlogen untereinander oder zwi­schen ihnen und der Geheimen Ziffernkanzlei durfte nur in Ziffern erfolgen, deren Schlüssel von Zeit zu Zeit erneuert wurden. So mußte z. B. die Floren­tiner Postloge alle verräterischen Einzelheiten der von ihr gewonnenen und eingesendeten Interzepte — das Datum, die Namen der Absender und der Empfänger sowie deren Aufenthaltsorte — in Ziffern setzen, so daß kein Außenseiter, wer immer es sein mochte, den Interzeptcharakter der Einsen­dung erkennen konnte. Aus demselben Grunde waren unchiffrierte Begleit­schreiben strenge verboten. Alle diese Sendungen waren überdies mit fort­laufenden Nummern versehen, die eine Kontrolle ihrer Vollständigkeit zuließen. Auch äußerlich wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Man siegelte die Umschläge solcher Interzeptsendungen mit bestimmten, von Zeit zu Zeit abgeänderten privaten Siegeln — die Augsburger Reichsloge z. B. bediente sich zu diesem Zweck um das Jahr 1800 eines Siegelstempels, der einen antiken Kopf mit dem Buchstaben C darstellte23) — und versah sie überdies mit fallweise vereinbarten Deckadressen. So sandte z. B. die Augs­burger Reichsloge ihre Interzepte unter der Adresse zweier anscheinend fin­gierter Wiener Buchhandlungen — Kambschen oder Barthelmy — ein und Cavaliere Pistoj, der Chef der toskanischen Postlogen, empfing und expedierte seine geheimen Korrespondenzen unter dem Decknamen eines fiktiven Demetrio Arnetoli24). Wobei allerdings die Postämter der Empfangsstatio­nen insofern mitwirken mußten, als sie alle derartig verkleideten Brief­sendungen wahrzunehmen und an ihre richtigen Adressen zu leiten hatten. 2. Auf- und Abgabe der Briefe. Nicht minder wichtig als diese Vorkehrungen war — zumal in Wien — die Regelung der Ankunfts- und Abgangszeiten der Postkurse und das Aus­maß der zwischen Postankunft und Briefausgabe und zwischen Briefaufgabe 20) Ideen (Anm. 3 S. 4); Weisung nach Florenz 43 II 8 Interiora 72. 21) Ideen (Anm. 3 S. 4). 22) Memorial über das Postwesen 20 VIII Kaiser-Franz»Akten 80; Ideen (Anm. 3 S. 4). 23) Dr. Wolf an Mett. (Anm. 7 S. j). 24) Vertrag über den Geheimen Dienst in Florenz 32 VI 18 Notenwechsel m. d. Kabinett 1; Weisung nach Florenz 33 X 4 acta secreta n. 423; Interzept 34 III vor 6 Interzepte 16; Bericht Pistojs 41 XII 7 Interzepte 61. 7

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