Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn

des Erzkanzlers Beschwerden vorzubringen 140). Es handelte sich dabei wieder um die Titelanmaßungen seitens der österreichischen Kanzlei, um die Standeserhöhungen, die nun überhaupt nicht mehr von der Tages­ordnung der Streitigkeiten zwischen den beiden Kanzleien verschwinden sollten, und um die Hoffreiheiten. Ob diese neue Beschwerdeschrift des Kurfürsten einen Erfolg hatte, erscheint überaus zweifelhaft. Wenn man ein im nächsten Jahre verfaßtes Gutachten des Vizekanzlers Stralendorff über ein Gesuch des Sekretärs Questenberg an den Kaiser um eine Geldabfertigung aus dem Taxamt liest und daraus entnimmt, mit welcher Vorsicht Stralen­dorff zwischen Kaiser und Erzkanzler zu lavieren bestrebt war 141), muß man audh füglich bezweifeln, daß er die Beschwerden des Kurfürsten mit besonderem Nachdruck vertreten hat. Unter solchen Umständen war es sehr naheliegend, daß man in Mainz daran dachte, die Wahl Ferdinands III. zu benützen, um den Beschwerden ernstlich abzuhelfen. Eine Folge dieser Bestrebungen war die Aufnahme eines eigenen Artikels in die Wahlkapitulation Ferdinands III. vom 24. De­zember 1636 142), in dem sich dieser verpflichtete, nicht zu gestatten, daß Expeditionen in Gnadensachen, besonders Standeserhöhungen, die er als römischer König und künftiger Kaiser erteilen werde, bei einer anderen als der Reichskanzlei ausgefertigt werden und mit der Goldbulle besiegelt werden, ferner ohne Vorwissen und Willen des Erzkanzlers keine Tax- befreiungen zu erteilen und das Taxamt nicht mit Reisekosten und anderen Auslagen zu beschweren. Es war das erste Mal, daß in die Wahlkapitulation Bestimmungen über die Reichs­kanzlei und das T a x a m t aufgenommen wurden. Wir werden sehen, daß die Erzkanzler auch weiterhin bestrebt waren, ihren Rechten auf die Verwaltung der Reichskanzlei auf diesem Wege Geltung zu verschaffen, Von großer Bedeutung war die Überlassung des Rechtes der T a x- befreiung an den Erzkanzler. Die bisher unklaren Rechtsverhält­nisse des Taxamtes, auf die das bereits erwähnte Gutachten Stralendorffs aus dem Jahre 1631 ein bezeichnendes Licht wirft141), fanden dadurch eine Regelung im Sinne der erzkanzlerischen Ansprüche. Die Wahlkapitulation Ferdinands III. bedeutet jedenfalls den Beginn einer planmäßigen Aktion der Erzkanzler zur Verteidigung und auch zur Erweiterung ihrer in den Kanzleiordnungen verbrieften Rechte, in erster Linie zur Abwehr gegen das Umsichgreifen der österreichischen Hofkanzlei. Zunächst waren aller­dings die Erfolge nichts weniger als befriedigend. Schon das Jahr 1637 brachte eine abermalige Beeinträchtigung der erzkanzlerischen Rechte, als der neue Kaiser Ferdinand III. nach Stralendorffs Tode den Reichshofrat Ferdinand Sigismund Grafen von Kurz zu dessen Nachfolger ernannte, ohne sich vorher mit dem Erzkanzler darüber ins Einvernehmen gesetzt zu haben. Die Notifikation der Ernennung durch den Kaiser vom 2. November 1637 beantwortete Kurfürst Anselm Kasimir mit einem Protest, der aller­dings dem Kernpunkt des ganzen Streites, der Frage des Ernennungsrechtes ebenso aus dem Wege ging, wie die vom 8. Dezember 1637 datierte Ant­uo) R.K. Veri. A. 23, Nr. 45, u, R. K. Verf. A. 60. 141) R. K. Verf. A. 30, Konv. Q. Vgl. hierüber unten S. 267. 142) Artikel 46 s. Riegger K. Josephs II. hármon. Wahlkapitulation 2, 231 u. 245. 44

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