Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn

Hinkunft der Kampf mit der österreichischen Hofkanzlei drehen sollte: die Standeserhöhungsdiplome, die wegen der mit ihnen verbun­denen hohen Taxen von besonderer Bedeutung waren, und die politi­sche Korrespondenz mit dem Ausland, die für die Stellung der Kanzlei bei der Führung der auswärtigen Geschäfte maßgebend war. Ob der Kaiser auf die Beschwerden Johann Schweikhards antwortete, läßt sich nicht feststellen. Sehr wahrscheinlich scheint es mir nicht. Jedesfalls hatte der Erzkanzler noch im Oktober 1623 neuen Anlaß, über Verletzung seiner Rechte zu klagen. Der Kaiser hatte ohne Vorwissen des Erzkanzlers an Stelle des durch Selbstmord geendeten Kanzleischreibers Hans Hobisch Wolf Kirchmair aufgenommen und die Hobisch anvertrauten Registraturarbeiten Ferdinand Ferre übertragen. Diese Verletzung der Kanzleiordnung führte zu einem scharfen Protest des Erzkanzlers bei Stralendorff, dem Ver­treter Ulms, der den Auftrag erhielt, bei Ferdinand nachdrücklich gegen dieses Vorgehen zu protestieren und zu einer Weisung an den Taxator, den beiden neu eingestellten Beamten keine Zahlungen aus dem Tax- amte zukommen zu lassen. Gleichzeitig verwahrte sich der Kurfürst auch dagegen, daß die früher stets von der Hofkammer bestrittenen Reise- und Zehrungskosten der Kanzlei nunmehr dem Taxamt auf­gebürdet würden137 a). Da einige Jahre später Johann Schweikhards Nachfolger Georg Friedrich von Mainz sich zu neuerlichen Protesten gegen die ohne sein Vorwissen erfolgte Aufnahme von Kanzleipersonen veranlaßt sah 138), ist wohl der Schluß berechtigt, daß diesen Protesten am kaiserlichen Hofe kein allzu großes Gewicht beigelegt wurde. Daß aus diesen Zwischenfällen sich ernstere Zwistigkeiten hätten entwickeln können, war übrigens angesichts der allgemeinen politischen Lage, die den Kaiser und den Kurfürsten durchaus auf ein Zusammengehen verwies, sehr un­wahrscheinlich. Auch sonst scheint in diesen Jahren die Stellung der Reichs­kanzlei eine gewisse Schmälerung erfahren zu haben, auch wenn man die Tatsache, daß zufolge eines Hofstaatsverzeichnisses aus den Jahren 1627 bis 1628 der Reichsvizekanzler nicht mehr ständig an den Sitzungen des ge­heimen Rates teilnahm, sondern nur jenen beigezogen wurde, in denen über Reichssachen verhandelt wurde, nicht allzu hoch einschätzen will, zumal ja auch der österreichische Hofkanzler nach dem gleichen Verzeichnisse nicht zu den ständigen Mitgliedern des geheimen Rates gehörte und der Reichs­vizekanzler späterhin doch auch wieder ohne Rücksicht auf die Verhand­lungsgegenstände im geheimen Rate erschien 139). Jedenfalls aber hatte Stralendorff 1630 wieder über die österreichische Hofkanzlei im Auftrag 137a) Mzer. R. K. 12: 1623 Okt. 4., Erzkanzler an Stralendorff u. Taxator Mechtl. 138) Mzer. R. K. 8 a: 1628 März 15., Erzkanzler an Stralendorff. 139) Kretschmayr hat Reichsvizekanzleramt, 433, zuerst auf die Bedeutung dieser Bemerkung des Hofstaatsverzeichnisses (gedr. Fellner-Kretschmayr, I/2, 206 ff.) hin­gewiesen, doch scheint mir diese dadurch, daß auch der Österreich. Hofkanzler Verda von Werdenberg in diesem Verzeichnis nicht unter den genau angeführten ständigen geheimen Räten steht — die gegenteilige Angabe bei Kretschmayr beruht auf einem Irrtum —, sondern mit dem ndöst. Statthalter Breuner am Ende der Liste nach Stralendorff, doch wesentlich abgeschwächt zu werden. Sie scheint mir aber auch dadurch an Wert zu ver­lieren, daß ein Mißtrauen gegenüber Stralendorff, der sich der höchsten Gunst des damals sehr einflußreichen Direktors des geheimen Rates, des Fürsten von Eggenberg, erfreute, sehr unwahrscheinlich ist, vgl. unten S. 336. 43

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