Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias

mit seinem Erbieten Gehör zu finden 88). Mit den Mißständen im kaiser­lichen Regiment und damit auch in der Reichskanzlei beschäftigten sich die Fürsten besonders in den Sitzungen am 9., 11., 13. und 16. August. Da der Kaiser sich bisher zu einer Reform nur wenig geneigt zeigte, machte sich eine starke Strömung geltend, die Reformfrage auf einem Kurfürstentage zur Sprache zu bringen und energische Mittel zur Abhilfe zu ergreifen. Die Anschauung der Versammlung wurde in einem vom 16. August da­tierten Schreiben der Kurfürsten von Mainz, Köln und Sachsen an den Kaiser niedergelegt89). In den Beratungen der Fürsten nimmt die Klage über die Verzögerung der kaiserlichen Unterschriften ebenso wie die über die Schwierigkeit, beim Kaiser Audienzen zu erlangen, einen breiten Raum ein. Von Seite Kölns wurde angeregt, ein Instrument „so zur subscription zu gebrauchen“, also offenbar eine Stampiglie mit dem Namenszug des Kaisers einzuführen, wogegen jedoch von sächsischer Seite Bedenken geltend gemacht wurden. Dieser Vorschlag war nicht neu, schon im Jahre vorher hatten die geheimen Räte und böhmischen Landesoffiziere den Kaiser bitten wollen, ein „Pressei“ machen zu lassen, wie ein solches die Kaiser Fer­dinand I. und Maximilian II. sowie König Philipp II. von Spanien gebraucht hatten 90). Die Versuche der Fürsten, in den Prager Regierungsstellen we­nigstens einigermaßen die Ordnung wiederherzustellen, blieben erfolglos. Weder beim Reichshof rat noch im geheimen Rat und der Reichskanzlei wurde irgend etwas gebessert, im Gegenteil, im Jahre 1611 verschlimmerten sich die Verhältnisse noch. Der Erzkanzler Johann Schweikhard benützte jedoch seinen Prager Aufenthalt, um in einem wenige Tage vor seiner Ab­reise, am 13. September 1610, erlassenen Kanzlei-Memorial91) we­nigstens gegen jene Ubelstände einzuschreiten, die in der Kanzlei selbst, vor allem der schlechten Qualifikation des unteren Personals begründet waren. Es sind die alten, wohlbekannten Klagen über den mangelnden Fleiß der Kanzleischreiber und den unregelmäßigen Dienst in der Kanzlei, ferner über ihre Verbindungen („Korrespondenzen“) mit Reichsständen und fremden Mächten und Annahme von Sollizitaturen für Reichsstände. Johann Schweikhard versuchte, durch Begrenzung der Zahl der Kanzleischreiber, die damals, allerdings nur in den Besoldungslisten, mehr als 20 zählten, während in Wirklichkeit oft kaum drei Schreiber zur Verfügung standen, die überflüssigen Personallasten herabzusetzen und verfügte, daß in Flin- kunft nicht mehr als 14 Schreiber für die deutsche Expedition besoldet werden sollten. Er bedrohte auch unfleißige und unfähige Kanzleischreiber mit Gehaltsentzug und ermächtigte den Vizekanzler gegebenenfalls zur Ent­lassung. Der Nachlässigkeit bei der Registrierung der auslaufenden Stücke sucht das Memorial durch besondere Vorschriften zu steuern, ebenso der schlechten Qualität der Reinschriften. Der Erzkanzler traf auch genaue Bestimmungen über die Besoldung der Kanzleischreiber und über die Aus­zahlungen an sie aus dem Taxamt. Dem Reichsvizekanzler schreibt das Memorial eine scharfe Kontrolle der Kanzleibeamten vor und weist ihn 88) Vgl. das Protokoll des Fürstentages v. 13. Aug. bei M a y r a. a. O. 497. 89) Mayra, a. O. 493—498 u. 536. 90) S t i e v e, Briefe u. Akten, 6, 718. 91) Druck bei U f f e n b a c h, Tractatus de consilio aulico, Anhang 28 ff. Ausführ­liche Inhaltsangabe b. H e r c h e n h a h n, i, 557 ff. 31

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