Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler
Dr. Gall Hager kaiserlicher Kommissär beim Speyerer Deputationstag und 1603 wirkte er abermals als österreichischer Gesandter im Direktorium des Reichstages zu Regensburg 187). Am 27. Oktober 1603 berichtete der Nuntius, daß Ulm, der bisher vom Kaiser in mehr als 30 Gesandtschaften verwendet worden sei, geheimer Rat geworden und gegenwärtig verreist sei, um zu heiraten 188). Im folgenden Jahr ging er dann als kaiserlicher Kommissär zur Wahl des Erzbischofs von Mainz, aus der Johann Schweik- hard hervorging 189). Vermutlich ist er damals schon in engere Beziehungen zu dem neugewählten Kurfürsten getreten. Ulms Stellung beim Kaiser scheint lange Zeit eine recht gute gewesen zu sein. Aus dem Jahre 1605 ist ein Schreiben Ulms an Rudolf II. über den Vorschlag von Kandidaten für den Reichshofrat erhalten, das durch den verhältnismäßig freimütigen Ton auf fällt und das die Mißstände am Hofe ziemlich un verhüllt berührt 19°). Ende 1606 zog auch er, wie so mancher andere, sich Rudolfs Unwillen zu 191). Seither ist er seiner eigenen Angabe zufolge dem Hofe ferngeblieben. Doch hatte noch bei Rudolfs Lebzeiten der Kurfürst von Mainz sich wiederholt für Ulms Wiederverwendung eingesetzt. Als Anfang 1611 zwischen Johann Schweikhard und Herzog Maximilian von Bayern über die Entsendung einer Gesandtschaft nach Frankreich verhandelt wurde, trat der Kurfürst lebhaft dafür ein, daß Ulm, dessen Sprachkenntnisse und hervorragende Qualitäten er bei diesem Anlasse besonders hervorhob, derselben beigegeben werde 192). Daß er dann gegen Ende 16x1 sich lebhaft bemühte, Ulm an Stralendorffs Stelle zu bringen, wurde bereits erwähnt. Johann Schweikhard hat dann auch gemäß den am Wahltage zu Frankfurt mit Mathias getroffenen Abmachungen die Verhandlungen mit Ulm wegen Übernahme der Vizekanzlerschaft geführt. Ulm nahm den Posten zunächst für ein Jahr an 193), doch traf er trotz der Klagen Khlesls erst am 24. September 1612 am Hofe zu Prag ein, wo er am 26. September im geheimen Rate beeidigt und am nächsten Tage von Khlesl in die Kanzlei eingeführt wurde194). Seine Ernennung zum Vizekanzler wurde allenthalben mit Recht dem Einflüsse des Mainzer Kurfürsten zugeschrieben. Bei den protestantischen Reichsständen machte sie keinen guten Eindruck, da Ulm als eifriger Katholik bekannt war und als Scharfmacher galt. Ein Berichterstatter aus Prag bezeichnete ihn als einen Zeloten, den der verstorbene Kaiser mit Unwillen fortgeschickt habe 195). Man wird es Ulm gerne glauben, daß er in der Reichskanzlei ein „chaos laborum“ und große Unordnung vorfand. So schrieb er dem 18?) Vgl. Stieve, Briefe u. Akt. j, 273, 288, 512 Anm. 1, 558 f-, 616 Anm. 3, Ulms Protokoll v. Reichstag v. 1603 in R. T. A. 78 a. 188) A. O. M e y e r a. a. O. 64. 189) Stieve 5, 687. 19°) R. H. R. Verf. A. 11, Nr. 60. 191) Stieve 5, 819. 192) C h r o u s t, Briefe u. Akt. 9, 80. 193) So schrieb er am 21. Juli 1612 an Khlesl R. K. Verf. A. 2. 194) Vgl. Prot, des geh. Rates (R. H. R. Prot. rer. resol. saec. XVII, Nr. 22 a, fol. 4 v ff.) u. Chroust 10, 395. 195) Chroust 10, 609 f. u. 838, Anm. 2. Die Protestanten hatten das Reichsvizekanzleiamt für den Reichshofrat Dr. Johann M. Wacher, der es auch selbst lebhaft anstrebte, erhofft. 330