Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler

Erzkanzler wenige Tage nach seiner Ankunft in Prag und bat ihn gleich­zeitig, der Erzkanzler möge ihn und sein Amt dem allmächtigen Minister Khlesl empfehlen196). Inwieweit es Ulm gelang, in das Getriebe der Kanzlei wieder einige Ordnung zu bringen und wie schließlich unter ihm sich jene verhängnisvolle Entwicklung der österreichischen Hofkanzlei vollzog, haben wir bereits gehört197). Hiezu hat der eben genannte Khlesl sehr viel beigetragen, zu dem Ulm alsbald in einen scharfen Gegensatz geriet. Schon wenige Monate später hören wir von Khlesls selbstherrlicher Eigenmächtigkeit, der alle an den Kaiser einlangende Schreiben erbrach, was ihm darunter beliebte, behielt, die übrigen Ulm oder anderen Räten des Kaisers zur Erledigung übergab und derart zu Ulms großem Unwillen fortgesetzt in dessen Amt eingriff198). Einige Wochen später, im März 1613, schrieb Hannewald dem Herzog von Bayern, daß Ulm sich für den unglücklichsten Menschen der Welt halte und fort wolle 1B9). Auf dem Reichstage zu Regensburg verschärfte sich dann Ulms Gegensatz zu Khlesl, der nicht nur auf persönlicher Rivalität beruhte, sondern auch in der abweichenden politischen Einstellung begründet war. Während Khlesl für eine nachgiebige Haltung gegenüber den Wünschen der Protestanten in der Frage der protestantischen Bistumsadministratoren war und über­haupt zu Konzessionen geneigt war, vertrat Ulm hartnäckig den Stand­punkt absoluter Negation, wobei er an Maximilian von Bayern und den geistlichen Kurfürsten einen Rückhalt fand. In der Frage, ob dem Magdeburger Administrator ein Lehensindult zu erteilen sei oder nicht, spitzte sich diese Meinungsverschiedenheit zu einem förmlichen Konflikt zu 20°). Ulm drohte mit Verweigerung der Unterschrift und setzte auf diese Art seinen Willen durch 201). Das gleiche Mittel wendete Ulm noch ein zweites Mal auf dem Reichstage mit Erfolg an, wobei ihn der Nuntius gegen Khlesl unterstützte. Ulm kam bei diesen Konflikten doch auch seine große Kenntnis des Reichsrechtes und der ganzen Verhältnisse im Reiche, in denen Khlesl nach dem Zeugnis vertrauenswürdiger Berichterstatter nicht sehr bewandert war, zustatten 202). Hatte Ulm auch sich hier durch­zusetzen vermocht, so stand er doch auch weiterhin Khlesl an Einfluß beim Kaiser weit nach. Wir haben schon darauf hingewiesen, wie Khlesls Eigenmächtigkeit und Rücksichtslosigkeit der Reichskanzlei zum schweren Nachteile gereichten. Seine Beziehungen zu Ulm besserten sich zwar allem Anscheine nach in den folgenden Jahren. Dafür spricht doch sehr der von Ulm eigenhändig geschriebene Vortrag an den Kaiser vom 23. Oktober 1614, in dem er Mathias bittet, Khlesl und allen dessen Nachfolgern am Wiener Bischofsstuhl Rang und Titel eines Fürsten zu verleihen 203). In 196) Mzer. R. Kzlei. 3: 29. Sept. 1612. 197) Vgl. oben. 19S) Chroust, Briefe u. Akt. 11, 48. — Vgl. auch Hammer-Purgstall, Khlesl 3, Aktenstücke Nr. 376, 386, 387. 199) C h r o u s t a. a. O. 470, Anm. 4. 20°) Vgl. zur Sache Ritter, Deutsche Gesdi. 2, 380 f. u. Politik u. Gesch. d. Union zur Zeit des Ausgangs Rudolfs II. u. der Anfänge des Kaisers Mathias 43 ff. 901) Chr oust a. a. O. 521 u. 549, vgl. auch 506, 589 u. 680. 202) Vgl. Jochers Bericht an Max. v. Baiern bei C h r o u s t a. a. O. 726 ff. 203) Or. Hofkammerarchiv, Niederösterr. Herrschaftsakten (Wien), gedruckt bei H a m- mer-Purgstall a. a. O. 3, Nr. 450. 331

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