Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler

S t i e v e und M e i n e c k e ist es als eine Fälschung erkannt181) und dieses Schriftstück, dem man nicht mit Unrecht einen infamen Charakter nach­sagte, belastet ihn nicht mehr. Schwerer ist es, sich über den von den Zeitgenossen gegen Stralendorff erhobenen Vorwurf der Bestechlichkeit ein sicheres Urteil zu bilden. Ein Bericht aus Prag vom Jahre 1610 be­hauptet, daß sich der Vizekanzler in den fünf Jahren seiner Wirksamkeit mehr als 200.000 Taler erworben habe, wie der Berichterstatter durch- blicken läßt, nicht in einwandfreier Weise 182). Seine Geldgier ist notorisch, doch meint S t i e v e, einer der besten Kenner der Zeit, daß kein Beispiel einer offenkundigen Bestechung Stralendorffs bekannt sei. Er selbst hat den Vorwurf, sich bei der Ausübung der Justiz bereichert zu haben, mit Entrüstung von sich gewiesen. Jedenfalls muß er es aber trefflich ver­standen haben, sich, wo immer es ging, mit „Verehrungen“, wie sie damals ganz allgemein bräuchlich waren, bedenken zu lassen182 a) und daran, daß er ein Vermögen erworben hat, ist nicht zu zweifeln. Er wie sein Sohn erscheinen sogar als Gläubiger des Kaisers, dies geht aus einem Schreiben des älteren Stralendorff an den Kaiser aus dem Jahre 1619, in dem er um Begleichung seiner Forderung von j0.000 fl., die teilweise auch aus Gehalts­rückständen bestand, bittet, hervor 183). Hans Ludwig von Ulm zu Erbach und Marbach, Wangen und Mittelbibrach, entstammte einem schwäbischen Rittergeschlecht, das ursprünglich sich nach einer in der Grafschaft Helfenstein gelegenen Burg von Erbishofen genannt hatte184). Ulm begann seine Laufbahn am Reichskammergericht zu Speyer, von dort wurde er 1593 an den kaiser­lichen Hof gezogen und zum wirklichen Reichshofrat ernannt185). Schon im nächsten Jahre wurde er als Vertreter Österreichs zu dem nach Regensburg berufenen Reichstag gesandt. Sein eigenhändiges Protokoll über die Beratungen im Reichsfürstenrat auf diesem Reichstag ist erhalten 186). In den folgenden Jahren findet man ihn auf den verschie­densten Gesandtschaftsreisen und zu wiederholten Malen auch als Vertreter des Kaisers auf Kreis- und Deputationstagen. So wurde er 1596 zu den rheinischen Kurfürsten, 1597 zu Magdeburg und Braunschweig, 1600 zum Herzog von Bayern und 1601 zu den Kurfürsten von Sachsen und Bran­denburg entsandt. 1599 war er mit dem Grafen Fr. Fürstenberg und 181) Stieve, Das Stralendorffsdie Gutachten, eine Fälschung, Sitzgsber. d. philos., philolog. u. histor. Klasse der Münchener Akad. d. Wiss. 1883, 437 ff. u. 1886, 445; M e i n e c k e, Das Stralendorffsche Gutachten u. d. Jülicher Erbfolgestreit, Märkische For­schungen 19, 293 ff. Vgl. jetzt Klinkenborg, Das Stralendorffsche Gutachten, ein Inter­mezzo, Forschgen. z. brandenburg. u. preuß. Gesch. 41, 83 ff. u. Das Stralend. Gutachten u. die antikaiserliche Politik in Brandenburg-Preußen, ebda. 229 ff. 182) Mayr, Briefe u. Akt. 8, 608, Anm. 1. 182 a) 1609 erhielt er z. B. 1000 Taler von Maximilian von Baiern, vgl. Stieve 6, 703, Anm. i. 183) R. H. R. Verf. A. 26 (Stralendorff). 184) Vgl. über die Familie Ulm Kneschke, Adelslexikon 9, 333 u. Gothaisch. frei- herrl. Taschenbch. 1853. Bei Kneschke auch die ältere Literatur. 186) Vgl. den Beschluß des geh. Rates v. 10. März 1593 i. R. H. R. Resol. Prot, saec. XVI, Nr. 68 u. das Palatinatsdiplom für Ulm v. 1613 Okt. 20 (Konz. i. Staats­archiv d. Innern). Stieve, Nachfolge 104, Anm. 349 gibt an, Ulm sei seit 1592 am Hofe gewesen, was demnach zu berichtigen ist. 18e) R.T.A.6J. 329

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