Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler

Wunsche, der Erzkanzler möge Ulm zum ehesten Dienstantritt veran­lassen 17B). Schon am 3. August wurde Stralendorff durch ein kaiserliches Dekret unter Hinweis auf die mit dem Kurfürsten getroffene Verein­barung, daß Ulm Vizekanzler werden solle, förmlich seines Postens ent­hoben 175 176). Die Absetzung traf den alten Mann sehr schwer, vergeblich suchte er sich zur Wehre zu setzen und der Abschied aus seinem Amte fiel ihm sehr hart. In diese Zeit fällt auch eine an den Kaiser gerichtete Rechtfertigungsschrift Stralendorffs177). Wenn Stralendorff auch trotz allen Sträubens seinen Vizekanzlerposten räumen mußte, so scheint er doch, zumindest formell, Mitglied des geheimen Rates auch unter Mathias geblieben zu sein. In einem Lehenbrief vom 12. März 1613 über das Schloß Dorheim bezeichnet ihn Kaiser Mathias als seinen geheimen Rat178) und am 17. Oktober 1617 erhielt er den Titel eines geheimen Rats von Haus179). Stralendorff lebte sicher noch Ende 1623, wir besitzen einen von ihm an seinen Sohn gerichteten Brief vom 30. November 1623, in dem er sehr lebendig über verschiedene Geldangelegenheiten, die ihm am Herzen lagen, schreibt 18°). Fragt man nach Stralendorffs Betätigung im Amtsbetriebe der Kanzlei, so wird eine sichere Beantwortung dieser Frage durch die doch nur recht unvollständige Erhaltung der Akten jenes Zeitraumes erschwert. Im allgemeinen hat man den Eindrude, daß Stralendorff die am Kaiserhof einlaufenden Stücke — soweit sie ihm zur Kenntnis gelangten — sorg­fältig prüfte und vielfach auch durcharbeitete. Vermerke von seiner Hand über deren Inhalt und die Erledigung, die sie fanden, treffen wir häufig auf der Rückseite der Akten. Damit hängt es auch zusammen, daß er genaue Präsentationsvermerke auf die Einlaufstücke machte. Diese Ver­merke erfahren unter ihm eine Erweiterung, indem zum Datum ein pt (praesentatum) hinzugesetzt wird. Stralendorff ließ sich besonders die in den Reichshofrat gelangenden Akten angelegen sein. Hier kamen ihm wohl auch seine großen Kenntnisse in den Reichssachen und im Reichsrecht sehr zustatten. Eigenhändige Konzepte habe ich hingegen fast keine getroffen. Auch die wichtigsten Schriftstücke seiner Vizekanzlerzeit wurden anscheinend von anderen, zumeist waren es Hannewald und Hertel, entworfen. Auch Korrekturen in den Konzepten lassen sich nur selten feststellen. Seine konzeptive Tätigkeit wird man auf Grund dieser Beobachtungen daher nicht hoch einschätzen dürfen. Bekannt ist, daß man ihm lange die Verfasserschaft eines als „Diskurs und Bedenken über die jülichischen Lande 1608“ bezeichneten Gutachtens zuschrieb. Dieses sogenannte Stralendorffsche Gutachten hat seinerzeit eine große Rolle in der Politik, besonders in der Brandenburgs und Preußens, gespielt. Seit 175) Vgl. das Schreiben Khlesls v. 8. Aug. 1612 bei Ch roust 10, 394, das des Erz­kanzlers und des Kaisers i. Mzer. Wahl- u. Krön. Akt. 8 a, Nr. 115 u. 118. 176) R. K. Verf. A. 2. 177) Mzer. R. K. 3. 17S) Reichsreg. Mathias Bd. 9, 54. 179) R. H. R. Prot. rer. resol. saec. XVII, Nr. 44, fol. 97. 18°) R. H. R. Veri. A. 26 (Akt P. H. Stralendorff). — Demnach berichtigt sich auch Stieves Angabe über Stralendorffs bald nach 1612 erfolgten Tod. 328

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