Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler

mit Rumpf im September 1600 entlassen, seine Entlassung zwar alsbald wieder rückgängig gemacht148), doch blieb er fernerhin zunächst voll­kommen einflußlos. Wie tief er in der Gunst des Kaisers gesunken war und wie weit seine Kaltstellung ging, beweist, daß er im Oktober 1601 seit länger als einem halben Jahre keine Audienz mehr beim Kaiser erhalten hatte. Es war die Zeit, in der Barvitius fast allein täglich bei Rudolf II. erscheinen durfte und in der sich der unheilvolle Einfluß des Kammer­dieners Philipp Lang entwickelte147). Der Geschäftsgang am Kaiserhofe gestaltete sich immer schleppender, durch viele Monate harren die Parteien auf die Erledigung ihrer Angelegenheiten. Einerseits klagt Coraduz zu Ende des Jahres 1602, daß er infolge des Mangels an Sitzungen des geheimen Rates keine Referate erstatten könne und dadurch vieles unerledigt bliebe 148), andererseits beschuldigt man gerade ihn der Nachlässigkeit in der Erfüllung seiner Amtspflichten und auch der noch weit schwerere Vorwurf der Bestechlichkeit wird gegen ihn in so bestimmter Weise und von so gewichtigen Zeugen erhoben, daß an seiner Richtigkeit nicht ge- zweifelt werden kann149). Im Sommer 1603 bestand anscheinend bei Rudolf die Absicht, Coraduz zu entlassen. Im Juni dieses Jahres berief er den späteren Vizekanzler Leopold von Stralendorff, der bisher im Dienste des Erzkanzlers gestanden hatte, nach Prag und man glaubte, daß er der Nachfolger Coraduzens werden solle 149 a). Es kam indessen nicht dazu. Coraduz blieb weiter im Amte. Bis Ende 1604 dauerte die Einfluß- losigkeit Coraduzens an. Erst im Dezember dieses Jahres berichtet der Nuntius Ferreri, daß Coraduz, der sich noch im August mit Rücktritts­absichten trug, nun wieder in Gnaden vom Kaiser aufgenommen sei und häufig zum Vortrag bei diesem erscheine 15°). Das Jahr 1605 bedeutet den Höhepunkt seines Einflusses auf Rudolf II. Schon im Januar meldet der Nuntius, daß Coraduz jetzt den meisten Umgang mit dem Kaiser habe und von allen Ministern am eifrigsten sei151). In dieser Zeit suchte er auch, wie A. O. M e y e r nachwies 152), den Kaiser im Sinne der Gewährung von Gesinnungsfreiheit zu beeinflussen, ohne jedoch dabei die nötige Festigkeit zu zeigen. Er wich, als die Stimmung des Kaisers umschlug, als­bald zurück und leugnete sogar seine Stellungnahme ab. Es muß überhaupt dahingestellt bleiben, inwieweit sein Eintreten für Gewissensfreiheit 146) S t i e v e, Verhandlgen. 50. 147) Ebda. 109. 148) Ebda, m, Anm. 386. 149) So schreibt der bairische Agent Wilh. Bodenius am 2. Aug. 1603: C. est homo qui servit tempori et emolumento (S t i e v e, Briefe u. Akten, 5, 95, Anm. 2) und einige Jahre später bezichtigt er C. direkt, durch die Geldgeber des Kaisers bestochen zu sein (ebda. 740, Anm. 1). Von Bodenius rührt auch der Vorwurf der nachlässigen Amtsführung her (ebda. 728). Er beschuldigte Coraduz auch der Begünstigung der Protestanten. Ein sehr ungünstiges Urteil über C. fällte der Sekretär Engelhofer am Regensburger Reichstag im Juni 1594, vgl. das v. J. Loserth hg. Tagebuch des steiermärk. Landschaftssekretärs Stephan Speidl (Forschgen. z. Verfassgs.- u. Verwaltgsgesch. d. Steiermark X/4), 46. Engel­hofer sagt, C. plappere hinein, verstehe die Sachen nicht und verwirre alles. 149 a) St i eve, Briefe u. Akt. 5, 818, Anm. 3. 16°) A. O. Meyer, Nuntiaturber. IV, 139, 208 u. 260; S t i e v e, Briefe u. Akten 5. 934­151) Ebda. 284 u. 288. 152) Ebda. S. LXXI. 324

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