Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

Karls ist wie das Ottos I. der Abschluß einer neuen eigenartigen Macht­entwicklung, deren Schwerpunkt nicht in Italien, sondern nördlich der Alpen lag. Nicht Rom war des Reiches Hauptstadt, sondern Aachen und später Magdeburg. Vom römischen Imperium und von römischen Cäsaren sprachen nur die Kanzlei und die Literaten; in der realen Politik blieb das Programm Karls des Großen — und darin zeigt sich die Größe seines politischen Konzeptes — die Grundlage durch alle folgenden Jahrhunderte des altdeutschen Kaisertums. Auch als unter den Ottonen die antike Kaiservorstellung und -darstellung in Literatur und Kunst das stolze machtpolitische Selbstgefühl der damaligen Deutschen zum Ausdruck brachte und steigerte, war doch der Schutz und die Ausdehnung des Reichs nach Osten hin, der Kampf gegen die Ungarn und die Slawen­mission der Inhalt der Politik. Selbst als seit dem 11. Jahrhundert der Einfluß des römischen Kaiserrechtes wirklich zur Geltung kam, zeigt sich doch wieder die karolingische Tradition kräftig in der Wiederbelebung der Slawenmission seit Lothar. Und als Friedrich Barbarossa durch Ge­sandte der eben gegründeten römischen Republik die Kaiserkrone an- geboten wird, weist er sie zurück mit der Bemerkung, Karl d. Gr. nnd Otto d. Gr. hätten ja Italien bereits erobert. Er erkennt eben in Karl d. Gr. den Gründer des neuen nachantiken und unantiken Kaiserreichs, den Gründer der deutschen Weltstellung! Und wie steht es nun mit der Eroberung Sachsens durch Karl den Großen ? Wieder eine besonders in letzter Zeit vielumstrittene Frage. Wir stellen zunächst einfach fest: Die Sachsen waren von den sechs westgermani­schen Stämmen, durch deren Zusammenschließung erst das deutsche Volk entstehen sollte, der einzige vom Frankenreiche noch unabhängige Stamm. Man könnte daher vom nationalen Standpunkt ans die Eroberung Sachsens durch Karl den Großen nur dann bedauern, wenn die Entstehung des deut­schen Volkes auch auf einem anderen Wege, und auf diesem Wege mit geringerer Preisgabe der völkischen Eigenart, möglich gewesen wäre. Überlegen wir also einmal, was geschehen wäre, wenn Karl die Sachsen nicht bekriegt hätte oder wenn Widukind gesiegt hätte. Dank Lintzels Forschungen11 sehen wir die Situation jetzt ziemlich klar. Die Christi­anisierung Sachsens wäre dann mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht von den Franken, sondern von den Angelsachsen durchgeführt worden. Denn die angelsächsische Mission war seit dem Ende des 7. Jahrhunderts unter den Sachsen am Werk und hatte schon infolge der Stammesverwandt- 14 14 Besonders M. Lintzel, Der sächsische Stammesstaat und seine Eroberung durch die Franken. 1933. 10

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