Historische Blätter 7. (1937)
Fritz v. Reinöhl: Das politische Vermächtnis Kaiser Franz I.
Das politische Vermächtnis Kaiser Franz I. Von Fritz v. Reinöhl. Am 2. März 1835 verschied Kaiser Franz nach einer kurzen, kaum sechstägigen Erkrankung. Er hinterließ ein vom 1. März datiertes Testament sowie ein politisches Vermächtnis, welches in die Form zweier vom 28. Februar datierter Handschreiben gekleidet war, deren eines staatspolitischen, deren anderes kirchenpolitischen Inhalt hatte. Wir wollen uns hier mit dem staatspolitischen Handschreiben beschäftigen, über dessen Entstehungsgeschichte die Meinungen auseinandergehen. V. Bibi vertritt die Anschauung, daß es den Zweck gehabt hätte, Metternich die erste Stelle im Staate zu sichern, insbesonders seinen alten Gegner Kolowrat beiseite zu schieben. Er hat es als gewiß betrachtet, daß Metternich „ dieses politische Vermächtnis, das so ganz in seinem Geiste gehalten ist, selber verfaßt und auf irgend eine Weise sich die Zustimmung des Kaisers, dessen Befinden gerade an diesem Tag ein sehr schlechtes war, zu verschaffen gewußt“ habe. Bibi stützt sich auf einen eigenhändigen Entwurf Metternichs, „der wohl einen andern Wortlaut, aber den ganz gleichen Gedankengang enthält“. Bibi vermutet auch, daß Metternich sich schon früher mit dem Gedanken getragen habe, dem sterbenden Kaiser ein politisches Vermächtnis zu unterbreiten; er schließt dies aus einem Entwurf, den der am 9. Juni 1832 gestorbene Gentz „nach den weisen und trefflichen Vorschriften“ Metternichs verfaßt und in solche Worte gekleidet hätte, daß man hätte annehmen können, der Monarch habe das Vermächtnis selbstgeschrieben. Metternich habe dieses Vermächtnis dem Monarchen durch seinen treuen Helfer Bischof Wagner, den Beichtvater des Kaisers, in die Hand gespielt; Bibi dürfte dies aus der ihm bekannt gewesenen Tatsache schließen, daß Bischof Wagner das kirchenpolitische Handschreiben geschrieben hat !. Heinrich von Srbik ist dieser Auffassung Bibis entgegengetreten; er meint, Metternich vermochte den Sterbenden zur Unterzeichnung der beiden Handschreiben, die „dessen unwandelbaren Grundsätzen voll entsprachen“, zu bewegen; diese Tatsache dürfte jedoch nicht lediglich als politische In1 Der Zerfall Österreichs 1, 386 ff. Die früher geäußerten Zweifel an der Echtheit des Handschreibens (A. Springer 1, 443, F. M. Mayer, Geschichte Österreichs 775, Anm. 3) verdienen als schon widerlegt keine Beachtung mehr. 71