Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

ihm ebenso das Streben nach Vertretung der germanischen Gesamtinteressen zuschreiben. Beides war ihm meist unzertrennlich verbunden, was sich etwa zeigte, als er im Bilderstreit auch die angelsächsischen Könige und Bischöfe zu einer Stellungnahme gegen Nicäa veranlaßte und so die ge­samte germanische Welt gegen die griechische zusammenfaßte 9. So hat Karls Kulturpolitik die Idee eines Gemeingermanien noch über die staatlich erreichten Grenzen hinaus verwirklicht! Karls Eroberungskriege dienten der Schaffung eines großen Germanen­reiches, abgesehen von den Feldzügen gegen die Avarén und Slawen, die aber wieder zur Erweiterung und Sicherung des germanischen Raums und zum Schutze der Kultur überhaupt notwendig waren. Aus dem lebendigen germanischen Gemeinschaftsgefühl, das neben den akuten Veranlassungen die Karl selbst vielleicht nicht immer bewußt wirksame Grundlage seiner Machtpolitik war, entwickelte sich, in der Ottonenzeit reifend, ein engeres deutsches Einheitsbewußtsein als Grundlage für den staatlichen Aufbau des deutschen Reiches 10. Wir kommen damit zu der für uns wichtigsten Frage: Ist für Deutschland im engeren Sinne, für das deutsche Volk die Eingliederung in das fränkische Großreich, insbesondere der Anschluß Sachsens an den Westen und die so folgenreiche Verknüpfung mit Italien, mit Rom von Segen gewesen? Bei Beurteilung der deutschen Kaiserpolitik steht seit langem — für die heutige Geschichtsauffassung wieder von lebendigster Bedeutung — im Vordergründe die Wertung der Italienpolitik, der Römerzüge, der Kaiserkrönungen. Haben die deutschen Herrscher, als erster Karl d. Gr., dem Traume einer Erneuerung des alten römischen Imperiums nachgejagt, der mit den politischen Bedürfnissen der deutschen Wirklichkeit im Widerspruche stand? Wir sehen durch die Forschungen der letzten Jahre, besonders durch die grundlegenden Arbeiten Brackmanns11, ganz deutlich, daß dies nicht der Fall war. Auf die im vorausgehenden erkannte gemeingermanische Rechtfertigung des deutschen Strebens nach 9 A. Brackmann, Kaisertum und röm. Kirche, 87 (in: Karl d. Gr. oder Charlemagne?). 10 In dem angeführten Sammelwerk „Karl d. Gr. oder Charlemagne?“ betonen den gemeingermanischen Gedanken Naumann und Hampe („die Persönlichkeit Karls“); Carl Erdmann „Der Name deutsch“ hingegen läßt das germanische Gemeinschafts­bewußtsein in der Völkerwanderungszeit untergehen und dann, in allzu enger Be­grenzung, nur mehr innerhalb des sich bildenden deutschen Volkes Wiedererstehen. 11 Die Anfänge der Slawenmission und die Renovatio imperii (Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wiss., Phil.-histor. Kl., 1931, IX). Der „römische Erneuerungsgedanke“ und seine Bedeutung für die Reichspolitik der deutschen Kaiserzeit (ib., 1932, XVII). 8

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