Historische Blätter 7. (1937)
Josef Karl Mayr: Die Schlussakte des Wiener Kongresses
der Reinschriften der Schlußakte acht Tage lang gedauert hat. Jede Signatarmacht — wohl auch das widerspenstige Spanien — setzte am 12. Juni ihre flinksten Schreiber in Bewegung, die sich nun Tag für Tag — 26 nimmermüde Hände — um das paraphierte Originalkonzept stritten. Talleyrand und dem Hospodaren Caradja, Gentzens hochgeschätztem Geldgeber, mußten Sonderabschriften geliefert werden25. Deutlich trägt das österreichische Exemplar, das von Schweiger und Casaqui angefertigt wurde, die Spuren dieses Schreiberkrieges an sich: zweimal wechseln die Hände, das Papier ist ungleichmäßig, Korrekturen und Rasuren häufen sich. Kaum viel besser mag es um die übrigen Reinschriften bestellt sein. Inzwischen wurden die an die Nichtsignatare gerichteten Akzessionseinladungen26 ausgefertigt und noch da und dort an Titeln oder Daten Verbesserungen vorgenommen. Endlich konnten die Signatarbevollmächtigten nach einer mit Ungeduld durchwarteten Woche am Abend des 19. Juni in Metternichs Vorzimmer neben dessen Kabinett die Unterfertigung der Reinschriften vornehmen. Jeder Bevollmächtigte widmete seine ganze Sorgfalt dem eigenen Exemplare, Clancarty brachte zum Gaudium seiner Umgebung mehrere Stunden mit der Prüfung von Text und Unterschi iften, Zwirn und Siegel zu. Erst um Mitternacht konnte das Sitzungsprotokoll — das letzte des Kongresses — verlesen und unterzeichnet werden27. Noch wiesen aber die Unterschriften der Schlußakte beträchtliche Lücken auf. Labrador, der Spanier, hatte einen stummen Zuschauer abgegeben, Rasumoffsky und Stackelberg, die Russen, waren der Sitzung ferngeblieben und Wessenberg, der Österreicher, hat erst am nächsten Morgen unterzeichnet. Die russischen Bevollmächtigten unterschrieben am 26. Juni, nachdem ihnen Nesselrode die Zustimmung des Zaren persönlich erwirkt hatte. Als Rasumoffsky und Stackelberg Unterzeichneten, befanden sich Hardenberg, Talleyrand und Metternich gleich Nesselrode nicht mehr in Wien. Sie waren nach vollzogener Paraphierung ihren Souveränen nachgereist und hatten sich damit begnügt, Stellvertreter am Kongreßorte zurückzulassen. Ihre Unterschriften und Siegel fehlten daher gleich denen Castlereaghs, der Wien schon im Feber verlassen hatte, auf den Originalen der Schlußakte. Daher mußten ihnen diese nun nachgeschickt werden und es mögen noch mehrere Wochen verstrichen sein, bis die Originale der Schlußakte mit den Unterschriften und Siegeln aller Bevollmächtigten 25 Metternich-Klinkowström 536, 538 f.; eine dritte erhielten die Niederlande. 26 1815 VI. 13. Wien, Staatsarchiv, Kongreßakten 28. 27 Metternich-Klinkowström 536 f.; 1815 VI. 18./19., Protokoll Wien, Staatsarchiv, Kongreßakten 1. 66