Historische Blätter 7. (1937)
Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur
ihre allmähliche Erziehung- durch antiken Einfluß, sondern um eine Auseinandersetzung des germanischen Wesens mit einer andersartigen Kulturwelt, der die Germanen immer erst dann Entscheidendes entnehmen, wenn sie durch ihre eigene Entwicklung irgendwie dazu reif geworden sind. Daß die Entwicklung ihren schöpferischen Antrieb vom Germanentum empfängt, zeigt auch hier ein Vergleich mit Byzanz, wo die antike Überlieferung am stärksten war, aber doch unfruchtbar blieb, keinen Lionardo, keinen Michelangelo hervorbrachte, weil eben die Befruchtung des alten Kulturbodens durch die germanischen Völker fehlte68. Freilich, wo die Germanen, von der Heimat weit entfernt, völlig im Fremden versanken, wie die Goten oder Vandalen, da sind sie als Völker untergegangen, da sind sie der Antike erlegen, die durch ihre Nähe und tausendfältige Verflechtung den Germanen gefährlicher war als der Orient. Die westgermanischen Stämme aber, die bei allem erobernden Vordringen nie den Zusammenhang mit den heimischen Wohnsitzen ganz aufgaben, vermochten allem fremden Ansturm gegenüber ihr Wesen zu behaupten und aus den verschiedensten Bausteinen ihre arteigene deutsche Kultur zu schaffen. Da wirkte auch die Antike segensreich; in karolingischer und ottonischer Zeit zunächst überwiegend formal, indem sie die Sprache, die Ausdrucksmittel lieferte. Vieles gelangte zum Ausdruck — zumal in Literatur und Baukunst —, was sonst überhaupt ungesagt hätte bleiben müssen. Aber sogar der Schärfung des deutschen Sprachgefühls, der Durchbildung der deutschen Sprache war der Durchgang durch das Lateinische förderlich5U. Es ist daher Karls Förderung der Antike gleichfalls positiv zu werten. Es ist freilich immer bedenklich, einer einzelnen Persönlichkeit, und hätte sie noch so großes Format, entscheidenden Einfluß auf derartige Entwicklungen zuzuschreiben. Von Karl dem Großen aber haben wir eben gehört, wie entscheidend er das Christentum gefördert hat, in seiner äußeren Verbreitung und selbst auch in seiner inneren Entwicklung. Und ähnlich ist Karls des Großen Einfluß auf die Pflege der nachantiken Kultur58 59 60. Wir sehen heute allerdings, daß es keine karolingische Renaissance im vollen Wortsinn gegeben hat. Niemals vor Karl dem Großen, auch nicht in den dunkelsten Zeiten, waren die Verbindungsfäden zur Antike abgerissen, war die antike Kultur und Bildung ganz verfallen. 58 Aug. Heisenberg, 1. c. 393. 59 Vgl. C. Erdmann in „Karl d. Gr. oder Charlemagne?" 100. 60 C. Erdmann, ib. 101, nennt „die Einbürgerung der geistigen Kultur des Altertums bei den Deutschen in hohem Maße die Tat Karls“. 27