Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

ganz in die germanische Welt hineingezogen und wahrhaft deutsch werden. Ich denke an das mit dem heidnischen Julfest, dem Fest der Mütter, weiblicher Fruchtbarkeitsgottheiten und der Toten Verehrung verschmolzene Weihnachtsfest, an die volkstümlichen Gestalten des Teufels oder des hl. Petrus. Ja selbst der hl. Maria begegnen wir im Grimmschen Märchen! Wir können also trotz der natürlich noch immer großen Masse von Fremdem und Unverstandenem doch von einem germanisierten und schließlich deutschen Christentum sprechen. Es entstand durch die außer­ordentlich große schöpferische Begabung der fremdes Kulturgut auf­nehmenden und umformenden, mit Eigenem verschmelzenden Germanen4e. Es ist unbedingt falsch, den schöpferischen Einfluß der einzelnen Völker auf die Gestaltung des Christentums zu leugnen46 47. Das beweist im großen schon die Tatsache, daß Christentum und Kirche im Orient und im Abend­land so grundverschiedene Entwicklungen genommen haben: in der byzantinischen Kirche fehlt die tiefere religiöse Erregung, wie sie im Abendland etwa Franz von Assisi hervorrief48. Und wo gibt es in der griechischen Kirche eine Erscheinung, die sich mit der deutschen Mystik messen könnte? Denn besonders in Deutschland hat das Christentum die stärkste nationale Färbung erhalten. Hier sei nur hingewiesen auf die von geistlichem Glanz umflossene Gestalt des deutschen Königs; dann auf die der deutschen Kirche eigentümliche Ausbildung der geistlichen Fürsten­macht, auf die zahlreichen volkstümlich deutschen Charaktertypen unter den deutschen Bischöfen, Äbten und Mönchen. Man denke nur an die so gar nicht christlich einheitlichen Mönche, die uns die Klosterchronik von St. Gallen als lebensvolle deutsche Männer vorführt, an den viel­seitig künstlerisch begabten, mitten im Leben stehenden, immer auf Reisen befindlichen Tuotilo, den feinfühligen Sequenzendichter und glänzenden Novellisten Notker mit seinen Teufelsvisionen, den Höfling Ekkehard II., der die Liebe Hadwigs von Schwaben gewann, und vor allem an Ekkehard L, der aus einem deutschen Heldenlied seiner schwäbischen Heimat das Epos vom tapferen Walter schuf. Das Christentum verdankt im Bereiche der abendländischen Kirche viele seiner sympathischesten und 46 Vgl. die treffenden Bemerkungen P. E. Schramms in der Deutschen Literatur­zeitung, 57. Jg., 1936, Sp. 1842. 47 Das tut Dörries, 1. c. 20, Anm. 44. Seihst nach dem Sieg der einheitlich römischen Kultform kann Regino von Prüm (Chron. praefatio) sagen: „Anders sind die Gewohnheiten im Kirchendienst in Gallien und Germanien, anders in den östlichen Reichen und jenseits des Meeres“ (d. i. in England). 48 Vgl. Aug. Heisenberg, Das Problem der Renaissance in Byzanz (Hist. Zeitschr., Bd. 133, 1926) 404. 22

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