Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

nationalen Wesen oft zu stärkstem Ausdruck verhalf. Ich will als Bei­spiele nur anführen etwa das im 7. Jahrhundert erblühende burgundi- sche Kunstgewerbe, das sich vom gleichzeitigen römischen Kunstgewerbe in kräftiger nationaler Eigenart unterscheidet, obwohl es besonders alt- testamentliche Darstellungen verwertet42, oder die karolingisch-ottonische Kunst, die trotz der Anwendung des malerischen Stils der byzantinischen Spätantike die unmittelbarste Ausdruckskraft besitzt. Oder endlich die frühchristliche Basilika, aus der gerade durch Aufnahme orientalischer Elemente, wie des Stützenwechsels — bezeichnenderweise seit der Karolingerzeit —, der in seinem Wesen völlig deutsche romanische Kirchenbau wurde. Endlich noch ein paar Worte über das eigentlich Religiöse. Zahl­reiche Elemente des heidnischen Glaubens lebten trotz des Kampfes der Kirche dagegen, z. T. aber auch von ihr geduldet, ja sogar durch kluge Überleitung ins Christliche von ihr beschützt, fort. So etwa die Opfer­mahlzeiten im Minnetrinken, in den christlichen Freudenmählern, in den Gildefeiern43; oder — verbunden mit christlichem Zeremoniell — der kultische Tanz und vor allem die verschiedenen, auf dem heidnischen Volksglauben an die Wunderkraft der Elemente beruhenden Arten des Gottesurteils. Aus dem altgermanischen Zweikampf wurde gleichfalls ein Gottesurteil unter kirchlicher Leitung und auch nach der Verurteilung des Ordals durch Nikolaus I. hielt es sich noch jahrhundertelang44 45. Besonders die Wesen der niederen Mythologie beschäftigten auch weiterhin die Volksphantasie, ja sie treten gerade in jüngerer Überlieferung immer stärker hervor. Für die karolingische Zeit verweise ich nur auf die Riesen bei Paulus Diaconus, auf den Kobold beim Mönch von St. Gallen (I. c. 23). Wenn nun selbst bei solchen Bräuchen und Dämonen mitunter kein Zusammenhang mit dem heidnisch-germanischen Altertum bestehen sollte46, so wäre dieses Weiterschaffen der heidnischen Kräfte nur ein Beweis dafür, daß die germanische Seele durch das Christentum eben doch nicht ganz gebrochen wurde. Bei diesem Sachverhalt ist es verständlich, daß schließlich auch Hauptfeste und Hauptgestalten der christlichen Religion 43 Siehe L. Schmidt, Das germanische Volkstum in den Reichen der Völker­wanderung (Hist. Vjrschr., 29. Jg., 1935) 438­43 Siehe Jan de Vries, 1. c. 222, 253 f. 44 Vgl. meine „Deutsche Kultur zw. Völkerwanderung und Kreuzzügen“ (im Handbuch d. Kulturgesch., hg. H. Kindermann) 40 f. 45 0. Höfler hat jedoch mit Recht die viel zu weitgehende Skepsis der neuesten zusammenfassenden Darstellung dieser Dinge durch Jan de Vries zurückgewiesen (Deutsche Literaturzeitung, 57. Jg., 1936, Sp. 1741 ff.). 21

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