Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

Gesetz, das allerdings auch Taufunterlassung, Leichenverbrennung, Ver­richtung von Gebet oder Opfer an Quellen und Bäumen, Verhöhnung christlicher Einrichtungen, Verletzung einer kirchlichen Person oder kirchlichen Besitztums mit dem Tode bestraft, in bezug auf die Menschen­opfer wohl kaum grausam nennen. Im Gegenteil, man muß dem Christen­tum, der Kirche und besonders Karl dem Großen das uneingeschränkte Lob zubilligen, im frühen Mittelalter diesem grausamen Brauch des germanischen Heidentums ebenso energisch entgegengetreten zu sein, wie dem gleich­falls heidnisch-germanischen Hexenglauben und den darauf beruhenden Hexenverbrennungen. Die im Wesen noch heidnische Lex Salica bestimmt für denjenigen, der eine Frau grundlos als Hexe bezeichnet, nur eine Geldstrafe, der arianische Edictus Rothari belegt den, der ein Mädchen eine Hexe nennt oder sogar tötet „quod christianis mentibus nulla- tenus credendum est“ gleichfalls mit einer Geldstrafe85, das erwähnte Gesetz Karls aber verbietet bei Todesstrafe, einen Mann oder eine Frau der Hexerei zu beschuldigen und eine solche angebliche Hexe zu verbrennen und ihr Fleisch zu verzehren (c. 6)s6. Allerdings läßt der Eifer der Kirche in der Bekämpfung des Hexenwahns bald nach, weil sie selbst dem Aberglauben verfiel. Schon Bischof Pilgrim von Passau meint, man solle Zauberer und Hexen durch Ermahnungen zur Buße be­wegen36 37 und seit dem 13. Jahrhundert wird der Hexenglaube von der Kirche in ein System gebracht und schließlich zur Grundlage eines auf einer päpstlichen Bulle beruhenden und nach einem von zwei Dominikanern verfaßten Lehrbuch geführten peinlichen Verfahrens gemacht. So trägt also die Kirche die volle moralische Verantwortung für die späteren Hexenprozesse, die sie zwar dem weltlichen Gerichte zuschob, die aber doch erst infolge der Beurteilung der Hexen als Ketzer, als Feinde der christlichen Religion mit dem alle heidnischen Menschenopfer überbietenden wütenden Fanatismus der Inquisition erfüllt wurden. Im frühen Mittel- alter aber war die Kirche im wesentlichen tolerant und vertrat der heidnischen Religion gegenüber in vielem eine absolut höhere Menschlichkeit. Wie immer man aber auch Gewinn und Schaden, Segen und Fluch bei der Christianisierung der deutschen Stämme, insbesondere der Sachsen, bewerten mag: die schöpferische Kraft der altgermanischen Religion 36 c. 197, 198 und 376. 36 Bei Jan de Vries, der im allgemeinen die literarischen Quellen äußerst sorg­fältig zusammenstellt, ist die Capitulatio de part. Sax. sowohl bei Besprechung der Menschenopfer wie auch hei den Ausführungen über den Hexenwahn (264f.) uner­klärlicherweise vergessen. 37 Dörries 1. c. 18. 18

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