Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

selbst weitgehende Übereinstimmung zwischen nordischer und deutscher Religion und Zurückreichen der den Eddaliedern zugrunde liegenden Göttersagen in gemeingermanische Zeit an 24, so sind sie uns doch eben erst durch die meistim 11., 12., ja 13. Jahrhundert entstandenen Lieder — die Heldenlieder sind vielfach älter — in dichterischer, romantisierter Umformung, z. T. christlich beeinflußt, erhalten 25 26. Die direkten Quellen gar über deutschen heidnischen Glauben und Kult sind äußerst spärlich und mager und außerdem unzuverlässig. Die antiken Schriftsteller, die darüber berichten, stehen doch zu weit abseits; dazu kommt ihre Beein­flussung durch andere Vorstellungen und ihr schriftstellerisches Streben (so schmückt Tacitus seinen Bericht über den Nerthuskult wahrscheinlich nach dem Vorbild der seit Claudius in Rom am Märzfeste stattfindenden, ursprünglich phrygischen Magna Mater-Feier aus2e. Die christlichen Berichte der Missionäre, Geistlichen und Mönche sind natürlich tendenziös, sie verdammen, ohne in die Tiefe germanischen Glaubens zu dringen. Unternehmen wir es aber trotzdem, uns ein möglichst unverfälschtes Bild von der altgermanischen Religion zu entwerfen, so müssen wir zuerst sehr bald erkennen, daß es eine rein germanische Religion ohne alle fremden Elemente vielleicht überhaupt nicht oder nur in grauesten Urzeiten gegeben hat. Denn seit Jahrtausenden bereits waren den germanischen Völkern religiöse Vorstellungen, Sagen, Motive, Kultelemente aus dem Süden und Südosten, besonders aus dem vorderen Orient, zu­gewandert 27. Allerdings mögen diese fremden Einflüsse vielfach über­trieben dargestellt, allzu einseitig hervorgehoben worden sein und man mag Uber das Maß des Fremden streiten. Auch die Wege dieser Kultur­wanderungen bleiben heute noch unklar. An Stelle der Vermittlung durch die thrakischen Stämme und die pontischen Goten direkt zu den Nord­germanen denkt man neuerdings auch an eine Vermittlerrolle gerade der deutschen Stämme und schreibt auch westlichen Kulturbahnen — besonders etwa der Rheinlinie — größere Bedeutung zu 28. Ebenso strittig bleibt vielfach die Zeit dieser Entlehnungen. Man neigt jetzt wieder mehr dazu, die Jahrhunderte der Völkerwanderung als die Hauptepoche des Kultur­24 So H. Hempel, Hellenistisch-orientalisches Lehngut in der germanischen Religion (German.-roman. Monatsschr., 16, 1928), 186. 25 Vgl. Hempel 1. c. 191, Rückert 1. c. 6. 26 Siehe E. Mogk, Die Menschenopfer bei den Germanen, 631 ; Jan de Vries, Altgerm. Religionsgeschichte, 185. 27 Hempel 1. c. 187. — Jan de Vries 1. c. bes. 153. 28 Jan de Vries 1. c. 90. — Hempel 1. c. 194. 2 15

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