Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

Stämme als nicht erwiesen ablehnen, weil besonders nordische Quellen ihn uns offenbaren (obwohl die Götter auch die Helden der deutschen Heldensage, soweit sie heidnischen Geist atmet, nicht vor dem Untergang retten), so findet sich ein Beleg für Atheismus, also für eine noch weitere Stufe religiöser Auflösung als Skepsis, auch mitten in Deutschland (Vita Bonifatii c. 6, wenigstens nach Neckeis Auslegung)21. Vor allem gibt es aber zu denken, daß nicht nur von seiten Karls des Großen, sondern auch auf der Gegenseite, bei den Sachsen — wie übrigens bei fast allen vorher oder nachher bekehrten germanischen Völkern und Stämmen —, der Übertritt als eine Frage politischer, wirtschaftlicher und sozialer Erwägungen betrachtet wurde22. Der Adel stellte sich von Anfang an auf die Seite des Christentums, um sich seinen großen Grundbesitz und seine bevorzugte Stellung zu bewahren, und die unteren Stände führten ihren Verzweiflungskampf dagegen doch auch in erster Linie um die Freiheit von der fränkischen Herrschaft. Daß die Anzeichen des Verfalls der heidnischen Religion auch, ja z. T. deutlicher, im Norden erkennbar sind, wo doch das Heidentum um Jahrhunderte länger weiterlebte, spricht nur dafür, daß die altgermanische Religion nicht mehr recht lebensfähig war. Will man aber trotz der Einsicht in die Unabwendbarkeit des Vor­ganges untersuchen, wie schmerzlich der Verlust, wie groß die Tragik dieses Niedergangs war, oder hält man die beigebrachten Anzeichen des Verfalls für nicht hinlänglich erwiesen oder für nicht stichhältig, meint man, das Heidentum hätte sich — in unserem Falle — bei den Sachsen noch halten, ja vielleicht von hier aus auch bei den anderen deutschen Stämmen noch zu einer heidnisch-germanischen Erneuerung führen können, und will man daher untersuchen, wie bedauernswert die politische Zwangslage Karls d. Gr. oder — erkennt man auch diese nicht an — wie schwer seine Schuld war, so kann nur eine Untersuchung des Ver­hältnisses der germanischen Religion und des Christentums zum germanischen Wesen zu einer Urteilsbildung führen. Da stellt sich sogleich als Hemmnis in den Weg unser äußerst geringes Wissen um die altgermanische Religion 2S. Denn nimmt man 21 H. Rückert 1. c. 17. 22 Ib. 9 ff.; Jan de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte (Grundriß d. germ. Philol., 12 I, 1935), 220, 237. 23 A. Heusler, Die altgerm. Religion (in „Kultur d. Gegenwart“, I, 3, 1913), 259: „Vom germanischen Glauben ist uns das Beste und Wissenswerteste verschleiert.“ — F. R. Schröder, Germanentum und Hellenismus. Untersuchungen z. germ. Religionsgesch. 1924, 1: „Die Überlieferung . . . überaus spärlich und dürftig“ . . . „und vor allem über Kultus und Ritus wissen wir ... so gut wie nichts“. 14

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