Historische Blätter 7. (1937)
Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur
Feind gewesen wäre, sondern umgekehrt: dieser Übertritt war die Folge der schon ausgebrochenen Revolution 16. Und diese Revolution hätte, wenn sie nicht von den Franken blutig unterdrückt worden wäre, zweifellos auch in Sachsen zur Monarchie geführt. Ein von einem christlichen und monarchisch regierten Sachsen geschaffenes und geführtes Deutschland wäre aber um nichts deutscher gewesen als das Deutschland, das sich aus dem Reiche Karls d. Gr. entwickelte und schließlich ja auch unter sächsische Herrschaft kam. Wäre aber Sachsen gegen alle Wahrscheinlichkeit heidnisch und republikanisch geblieben, so kann man sich wohl kaum vorstellen, daß es sich hätte mit den anderen westgermanischen Stämmen zusammenschließen können. So war also die Eroberung Sachsens durch Karl d. Gr. wahrscheinlich das sicherste Mittel zur Bildung des deutschen Volkes, das nun alle westgermanischen Stämme mit Ausnahme der geographisch durch Meer bzw. Gebirge abgetrennten Angelsachsen und Langobarden umfaßte. Durch die gewaltigen Mittel des Großreichs Karls konnte auch in ganz anderem Ausmaß, als es etwa das Herzogtum Bayern vermocht hatte, der deutsche Raum nach Osten erweitert und gesichert werden. So ist Karl d. Gr. auch „der Vertreter des zukünftigen deutschen Reichs“ 17. Es scheint, daß er auch diese Idee, wie die bewundernswürdig planmäßige Ostpolitik, mit Bewußtheit verfolgt hat. So hat er das Wort „deutsch“ (theodisc) in der Gerichts- und Gesetzessprache und in der offiziellen Geschichtsschreibung als gemeinsame Bezeichnung aller Stammesmundarten verwenden lassen 18. Die Befürchtung, die energische und gewaltsame Zusammenfassung aller deutschen Stämme zu einem Reich und die Durchführung einer gleichmäßigen einheitlichen Beamtenverwaltung durch Karl d. Gr. hätte vielleicht den kostbaren Reichtum der Deutschen an charakteristischen Stammeseigentümlichkeiten schädigen können, wird durch die Entwicklung des doch am härtesten angefaßten Sachsens widerlegt. Denn Sachsen konnte im 10. Jahrhundert nicht nur seine kulturellen Sonderkräfte zur herrlichsten Blüte entfalten (Waltharilied, Hrotsvit!), sondern gerade aus Sachsen wuchs das machtvolle deutsche Reich der Ottonen. Karls des Großen Reichsbau hat ein großfränkisches Gemeinschaftsbewußtsein erzeugt, das auch den Zerfall des Reichs überdauert, aus dem sich das deutsche Volks- und Reichsbewußtsein des mittelalterlichen Kaiserreichs entwickelt 18 Siehe Lintzel 1. c. 56 ff. 17 Lintzel, Die Sachsenkriege (in : Karl d. Gr. oder Charlemagne?), 65. 18 Darüber C. Erdmann 1. c. 12