Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

Schluß der europäischen Mächte gegen die Türkei entsprechend den Wünschen des russischen Staatskanzlers zu wirken. Aus sicherer Quelle erfuhr Langenau sogleich, daß sein Auftrag von sehr friedlicher Natur sei. Ob die Wahl der Person in solchem Falle die rechte sei, ließ er mit einem Hinweis auf die vielfach gerügten Schwächen Ignatiews dahin­gestellt. („Seine allgemein bekannte geringe Wahrheitsliebe, sein intri­gantes Wesen eignen ihn wenig zu einer Friedensmission.“) Man erzählte jedoch, daß er sich in der letzten Zeit sehr beruhigt habe, und man konnte sich ja denken, daß seine Ruhmgier ihn bewegen werde, seinen schwierigen Charakter zu zügeln, um so desto besser zum Ziele zu gelangen („zu reüssiren“)71. Gerüchte sprachen seit Anfang des Jahres vom Rücktritt Fürst Gorcakows, der Ignatiew vielleicht zu einem glän­zenden Aufstieg den Weg öffnen konnte. Freilich war es Langenau nicht leicht gefallen, daran zu glauben: er zweifelte an dem eigenen Wunsch des Fürsten, sich in das Privatleben zurückzuziehen, und wenn Zuge­ständnisse der Hohen Pforte seiner Laufbahn einen ruhmvollen Ausgang bereiten sollten, so mußte man sich fragen, ob denn Zugeständnisse dieser Art wirklich in Aussicht ständen (25. Januar). Um nach der großen Moskauer Rede des Kaisers, die doch zuletzt der Politik Gorcakows zur Last fallen müsse, wenn sie auch hauptsächlich ein Werk der Partei des Thronfolgers sei, und zumal nach dem Mißlingen der Konstantinopeler Konferenz, aus Gesundheitsrücksichten seinen Abschied zu verlangen, hielt Langenau den Fürsten für allzu eitel. Ein geflügeltes Wort, das dieser selbst in Umlauf gesetzt hatte und offenbar bei verschiedenen Gelegenheiten variierte — unter anderem auch in Reichstadt Andrässy gegenüber — kennzeichnete seine Gefühle und Hoffnungen: „Si j’avais quitté mon poste il y a quelques années, je serais parti comme un astre luisant, si je le quittais maintenant, ce ne serait que comme une lampe qui file 72.“ 71 Telegramm von Langenau 4. März 1877. Wien. 72 Langenau an Andrässy (Privatbrief) 13./25. Jan., 28. Jan./9. Febr., 2./14. März 1877. Wien. Goriakows „propos“ findet sich in dem letztgenannten. Vgl. Die Große Politik, II S. 93 (Fürst Bismarck an B. v. Bülow Varzin 10. Nov. 1876): „Dieses Ziel [sein erstes Ziel] bezeichnete er selbst in Reichstadt mit den Worten ,je ne puis cependant pas filer comme une lampe qui s’éteint*, und ,je ne veux pas paraitre devant Dieu sans avoir présidé au moindre congrés en Europe*. Sein Wunsch war damals wohl auf den Vorsitz in einem Kongreß schon nicht be­schränkt, sondern weiter darauf gerichtet, seine lange Laufbahn mit einem glän­zenden Erfolge für Rußland abzuschließen“ etc. Eine der Quellen Bismarcks ist sichtlich der Brief Karl von Dönhoffs an das Auswärtige Amt Wien 11. Juli 1876, der eine ausführliche Wiedergabe einer Unterredung mit Andrässy in dessen 108

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