Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

sich aber vierzig Jahre später bewahrheitete, und eine Unterredung über diesen Gegenstand zwischen dem Stellvertreter Langenaus, von Mayr, und Giers, der damals die Obliegenheiten Gorcakows in der Hauptstadt besorgte und die Sache vor das Ministerkomitee zu bringen versprach, hatte nach mehr als zehn Tagen noch keine Frucht getragen 56. Als ein Waffengang mit Österreich-Ungarn infolge der Haltung Deutschlands sich unmöglich zeigte und der Gedanke an einen Krieg mit den Türken statt dessen in den Vordergrund trat, wurde es für die leitenden Männer in Petersburg wichtig, die Mächte zu überzeugen, daß man dem erwarteten Siegeszuge der russischen Heere selbst eine Grenze zu setzen wissen werde. In Livadia, wohin vorher der Kriegs- und Finanzminister wie auch der Thronfolger zu entscheidenden Über­legungen waren berufen worden — in dem letzteren sah Giers sogleich ein sehr ernstes Zeichen —, versicherte der Kaiser dem britischen Bot­schafter, Lord Augustus Loftus, daß weder sein Vater noch er selbst oder sein Sohn jemals den Besitz Konstantinopels erstrebt hätte, und davon hat er auch nach der Rückkunft nach Petersburg den Gesandten Franz Josephs unterrichtet. Er sprach dabei überhaupt davon, daß er noch heute den Frieden wünsche, aber mit geschriebenen Versprechungen der Pforte ohne sichere Garantien könne er sich nicht zufrieden geben — das gestatte die Ehre Rußlands nicht (20. November) 57. Während diplomatische Verhandlungen ununterbrochen geführt wurden, die zunächst auf einen Vertrag mit Österreich und auf die frei­lich fruchtlosen Botschafterkonferenzen in Konstantinopel Dezember 1876—Januar 1877 hinausliefen, rüstete Rußland, und aus fast allen Gouvernements, von Adelsversammlungen und von vielen Städten gingen Adressen an den Kaiser, die die Opferwilligkeit des Landes im Kriegs­fall aussprachen. Doch fand man an der Adresse des Petersburger Adels eine entschieden friedliche Farbe, und sowohl Langenau wie Schweinitz bezeugen, daß die Friedensstimmungen nunmehr in der Armee selbst 50 Ritter von Mayr an Andrássy St. Petersburg 30. Sept. (Telegramm), 30. Sept./lZ Okt. 1876. Wien. 67 Schweinitz, Denkwürdigkeiten, I S. 354: der Kriegsminister Miljutin ebenso wie Gorcakow verweilten in Livadia längere Zeit, der Finanz­minister von Reutern wurde auf einige Tage dahin gerufen. — Graf Berchem an Radowitz St. Petersburg 8. Okt. 1876 (eigenhändig): „Giers, obschon über Motive nicht unterrichtet, faßt die Berufung des Cesarewitsch [nach Livadia] sehr ernst auf.“ Berlin. — Langenau an Andrássy St. Petersburg 19. und 20. Nov. (ent­zifferte Telegramme). Wien. 98

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