Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

rung. Windischgrätz indessen konnte nicht anders als von den Äuße­rungen, die er nicht minder in höfischen als in militärischen Kreisen über die Situation im Oriente vernahm, tief beeinflußt werden. Die slawische Strömung erschien ihm so mächtig, daß seiner Meinung nach ein Napoleon I. oder ein Alexander der Große dazu gehört hätte, um ihr auf die Dauer zu widerstehen, während es ihm zweifelhaft vorkam, ob Alexander II. die nötige Energie aufbringen werde. Der Gesandte seiner­seits gibt wohl zu, daß die Lage sehr ernst sei, er versichert aber, daß er sowie der Militärbevollmächtigte, Oberst Baron Bechtolsheim, in Folge längerer Erfahrung die Dinge viel ruhiger ansehe 50. Beunruhigend fand doch auch er die Wirksamkeit, die Männer, wie General Fadejew und der Generaladjutant Graf Woroncow-Daskow, einer der nächsten Freunde des Thronfolgers, entwickelten. Dieser legte seinen Eifer für die slawische Sache dadurch an den Tag, daß er die „Emigration“ nach Serbien von Freiwilligen aus der russischen Armee, Offizieren wie Mannschaften, kräftig förderte, und die eigene Haltung des späteren Alexanders III. machte dem Botschafter den Eindruck, daß seine Thronbesteigung zu einem starken Umschwung führen könne. Man müsse darum die auf­geregte Stimmung in der Weise beschwichtigen, daß man den Serben zu einem Waffenstillstände verhelfe — ein Rat, den der Minister des Auswärtigen am Ballplatz, der für russische Bedrängnisse weniger empfindsam war, besonders wenn sie kaum als ganz unverschuldet gelten konnten, mit Ausruf- und doppelten Fragezeichen bezeichnet hat51. 50 Langenau an Andrássy St. Petersburg 1./13. Aug. 1876 (Privatbrief). Wien. 51 Langenau an Andrássy 4./16. Aug. 1876 (Privatbrief); über Woroncow- Daskow eingehender 7./19. Dez. 1877 (Privatbrief), einiges auch 26. März/7. April 1878 (Dito); über die serbische Reise Fadejews im Sommer 1877 Oberst Bechtols­heim an Andrássy, Górni Studen 20. Aug. (entziffertes Telegramm) und Langenau an Andrássy St. Petersburg 17./29. Aug. desselben Jahres (Privatbrief), wo es heißt: „Herr von Giers, welchen ich wegen der Reise des Generals Fadejeff nach Belgrad interpellirt habe, versichert mich auf das Allerbestimmteste, daß die kaiserliche Regierung dabei vollkommen unbetheiligt sei. Euer Exzellenz wissen genau, wie sehr sowohl Seine Majestät der Kaiser als auch Fürst Gortschakow in Belgrad zur Ruhe gemahnt haben, und wenn auch der General in Serbien zum Kriege treibt, so thut er es — ich bin diess überzeugt, ganz auf eigene Faust. Es fragt sich nur, ob es nicht möglich gewesen wäre, diese Reise zu hintertreiben, und da mag allerdings vielleicht nicht genug energisch gewirkt worden sein. Es ist leider nichts Neues, daß man hier nicht immer kategorisch genug vorgeht, wenn es sich darum handelt, den slavischen Tendenzen entschieden entgegen zu treten/1 Wien. — Siehe auch Schweinitz, Denkwürdigkeiten, 1 S. 341. Betreffend Alexander III. als Thronfolger und seine damalige Mitwirkung bei der 95

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