Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
merken glaubte, daß der Graf gleichwohl immer noch zu Rate gezogen werde und daß man auch (mitunter) seinem Rate folge 123. Um den Dreikaiserbund zu bewahren oder um ihn von neuem als beste Garantie des Friedens wieder aufleben zu lassen, riet Graf Suwa- low, gegenseitige Beschwerden über das Vergangene zu vermeiden, und als Lockmittel für die Zukunft deutete er an, wenn auch nur in loser Form — und offiziell konnte er ja in seiner gegenwärtigen Stellung gar nicht sprechen —, daß bei neuen Verwicklungen zwischen Rußland einerseits, die Türkei und England anderseits niemand Österreich hindern würde, seinen Einfluß über die westliche Balkanhalbinsel bis zum (Ägäischen) Meere auszudehnen — ein Gedanke, der an den so lange und vergeblich betriebenen Vorschlag seines Freundes Bismarck zwecks Einteilung der Halbinsel in Interessensphären erinnert124. Für die Erbschaft des bejahrten Staatsmannes war nunmehr in Fürst Lobanow ein neuer Kandidat aufgetaucht, den Gorcakow selbst im Zusammenhang mit dem Streben, Suwalow nach Vermögen entgegenzuwirken, begünstigte. Es wäre nach der Meinung des Botschafters kein schlechter Griff, denn der gegenwärtige Gesandte in Konstantinopel sei ein versöhnlicher und konservativer Mann und gar nicht Panslawist; der General hielt ihn aber zugleich für indolent, bequem, ja sogar faul, was ja auf einem so wichtigen Posten in mancher Hinsicht gegen allzu große „Rührigkeit“ schützen könne — es ist wohl noch einmal die beunruhigende Erinnerung an Ignatiew, die hier spukt —, aber doch in kritischen Augenblicken bisweilen auch schaden möchte. — Von Peter Walujew, vormals Minister des Innern und der Domänen und zu dieser Zeit Präsident des Ministerrates, der früher oft als kommender Nachfolger Gorcakows genannt worden, sei es jetzt ganz still, und die Wahl scheine also zwischen Suwalow und > Lobanow zu stehen, aber der Staatskanzler werde sicherlich, sowohl aus pekuniären Gründen wie auch, um niemand anderen hervortreten zu lassen, trotz zunehmender Schwäche sich sehr hüten, abzutreten 125. Noch einmal, während des Urlaubes, den er im Herbste genoß, bekam General Langenau Gelegenheit, über denselben Gegenstand mit Graf Peter Suwalow Gedanken auszutauschen — sie trafen damals in 123 Langenau an Andrássy 30. Juli 1878 (Telegramm), 19./31. Juli (Privatbrief), 20. Juti/1. Aug. (Dito). Wien. 124 Langenau an Andrássy 28. Juli/9. Aug. 1878. Wien. 125 Derselbe Brief. — Das Telegramm Andrássys und die Antworten Langenaus sind in Historisk Tidskrift 1931, S. 413ff., als Anlage 18a—e auszugsweise gedruckt. 142