Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

Einsicht und ehrlichen Gesinnung viel Vertrauen hegte, hatte auf dem Berliner Kongreß den Botschafter die Hoffnung aussprechen hören, daß er bei der Rückkunft in sein Land die imgerechtfertigte Feindseligkeit der öffentlichen Meinung und der Presse gegen Österreich werde dämpfen können und bewirken, daß die für die Nachbarn beunruhigenden Rüstungen an der Grenze eingestellt würden. Durch ein ausführliches Telegramm vom 29. Juli trug er Langenau auf, von dem Grafen selbst in diesen Dingen nähere Auskunft einzuholen sowie auch über die Aus­sichten für die Demobilisierung der russischen Balkanarmee, die, nun­mehr unter dem Oberbefehle Todlebens, noch mit der Belagerung von Warna und Sumla beschäftigt war — insoweit dies alles getan werden könne, ohne daß der Gesandte sich selbst oder den Befragten dem Mini­sterium des Äußeren gegenüber kompromittiere. Andrässy wünschte des­gleichen neue Nachrichten über das notorisch gespannte Verhältnis zwischen Suwalow und Gorcakow wie bezüglich der Aussichten des Erst­genannten zur Staatskanzlerwürde 122. Es gelang Baron Langenau, so­fort eine Unterredung mit Suwalow zu bekommen, der ihn bis dahin nicht besucht hatte und im Begriff stand, abzureisen, sich aber jetzt doch in seiner Wohnung einfand. Seine Mitteilungen waren dem Wortlaut nach teilweise beruhigend: er behauptete, der Kaiser halte ohne Schwanken am Dreikaiserbunde fest und der Befehl zum Rückzug und zur Abrüstung werde ergehen, sobald sich Warna ergeben habe. Die Spannung zwischen ihm und dem Staatskanzler leugnete er aber nicht, und in anderen Punkten äußerte er sich jetzt in verändertem Tone, indem er bestreiten wollte, daß die Presse in Rußland einen größeren Einfluß besitze, und geltend machte, daß die Aufstellung der Truppen mehr mit der Situation im ganzen Zusammenhänge. Doch erklärte er, er habe sein möglichstes schon getan und werde es noch tun, um die Zeitungen zu besänftigen. Seinesteils mußte der Gesandte bezeugen, daß die Wahr­scheinlichkeit für die Erhebung Suwalows auf den Kanzlerposten, der durch seinen Erfolg im Mai so bedeutend zugenommen hatte, jetzt wiederum entschieden vermindert sei, sogar für den unerwarteten Fall, daß Fürst Gorcakow freiwillig an seine Demission denken sollte. Dieser verabscheue ihn herzlich und vermeide augenscheinlich, ihm das Feld beim Kaiser frei zu geben — dies wieder nach der eigenen Aussage Suwalows. Es war ein recht schwacher Trost, wenn Langenau zu be­122 Andrássy an Langenau Wien 29. Juli 1878 (Telegrammkonzept). Wien. In Historisk Tidskrift 1931, S. 413f., als Anlage 18a gedruckt. 141

Next

/
Thumbnails
Contents