Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
Nicht sehr begabt, griff sie im ganzen in die Politik nicht ein, aber daß sie Suwalow überhaupt bekämpfte, war auch die Ansicht des deutschen Gesandten; der Graf war ihrem Anhang einmal in einer Eisenbahnspekulation entgegengetreten. Am meisten, meinte Schweinitz, schade diesem jedoch das Lob, das ihm im Auslande gespendet werde — in dieser Beziehung wird im Herbste, als nur von dem alten Vorschläge seiner Versetzung nach Berlin die Rede war, die auffallende Art erwähnt, in welcher die offiziöse „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ seine Tugenden preise. Nach der Heimkunft vom Berliner Kongreß war es nach demselben Gewährsmann zuerst Gorcakow, der seinem Monarchen die Vorstellung eingab, daß der bei den damaligen politischen und militärischen Umständen schöne Erfolg, den Suwalow mit deutscher Hilfe gewonnen hatte, eigentlich eine Niederlage und eine Demütigung Rußlands sei — eine Ansicht, die zum Schaden des Deutschen Reiches durch die Presse am Hofe wie im Heere und in allen Schichten der russischen Gesellschaft ein Glaubenssatz ward. In einem Rückblicke, dessen Urteile von übertriebener Härte scheinen und zur früheren ungesparten Anerkennung im schlagendsten Gegensätze stehen, verurteilt Schweinitz überhaupt die ganze Wirksamkeit des Kanzlers seit seinem Zurückbleiben in Bukarest während des Krieges, wo er faktisch aufgehört habe, Minister des Auswärtigen zu sein — man erinnere sich neben anderen gleichartigen Zeugnissen der eigenen Auslassungen des Kanzlers über diesen Gegenstand, die wenigstens eine starke Verminderung seines Einflusses einräumen120! Seit jener Zeit sollte er nicht mehr ganz zurechnungsfähig gewesen sein; sporadisch und planlos griff er in die Dinge ein, nur um einen Effekt zu erhaschen oder auch aus Neid, um anderen zu schaden. „Eitelkeit, Neid und Geiz überlebten in ihm die guten und zum Teil glänzenden Eigenschaften.“ Seine Einwirkung auf den Kaiser in Carskoje Selo im Sommer 1878 war die letzte, verderbliche Äußerung seiner Wirksamkeit121. Gewiß ist, daß die Stellung Suwalows Ende Juli ganz verändert war. Graf Julius Andrässy, der wie Fürst Bismarck zu seiner politischen 120 Siehe oben S. 132! 121 Die Fürstin Dolgorukij: Schweinitz, Denkwürdigkeiten, II S. 95, 20, 385. — Die Versetzung nach Berlin: Baron von Mayr an Andrässy St. Petersburg 26. Sept./8. Okt. 1878 (Privatbrief). Wien. — Fürst Gorcakows letzte Zeit: Schweinitz, Denkwürdigkeiten, II S. 40, Note und 115f., I S. 422 (vgl. 442f.). — Über die Presse siehe Irene Grüning, Die russische öffentliche Meinung und ihre Stellung zu den Großmächten 1878—1894 (Berlin 1929), S. 52 ff. 140