Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

nisse an die Forderungen der Mächte dürfte der Graf gehofft haben, auf Gorcakow schieben zu können, dessen Teilnahme er gewünscht haben soll — ein kluger Gedanke, wenn er durchgeführt hätte werden können; es ist aber wohlbekannt, daß es statt dessen der ältere Staatsmann wurde, der, soweit möglich, sich selbst der Verantwortung über­hob, indem er in heiklen Fällen seinen jüngeren und arbeitstaug­licheren Kollegen in den Vordergrund stellte. Der Fürst, dessen frühere Empfehlung Suwalows wohl niemals sehr aufrichtig gewesen war, wenn man sie überhaupt als verläßlich beglaubigt ansehen darf, hatte später einige Zeit einen anderen Plan begünstigt. Wie General Le Flő Baron Mayr erzählte, als dieser im September der österreichisch­ungarischen Botschaft Vorstand, war es im Frühling nach Unruhen in Kiew (am 20. April), in Charkow und Odessa eine von Alexander II. aufgenommene Idee gewesen, Suwalow das in einer solchen Lage mehr als gewöhnlich schwierige Ministerium des Innern zu übergeben. Das gewann die Zustimmung Gorcakows: er besprach selbst mit Le Flő den Vorschlag in einem Tone des Vergnügens, weil er so seinen gefährlichen Rivalen los zu werden gedachte. Graf Suwalow, erklärte der Kanzler, noch jung und in äußeren Angelegenheiten unerfahren — eine kleine, echt gorcakowsehe Bosheit —, hatte dagegen früher Gelegenheit gehabt, sich mit den inneren Verhältnissen des Landes vertraut zu machen und hatte dabei sogar ein gewisses administratives Talent bekundet — für den Posten, der jetzt in Frage komme, sei er daher ganz geeignet. Die Ernennung sollte indes an dem Widerstande der „grande demoiselle“ (Fürstin Katharina Dolgorukij) gescheitert sein, die zu den erbittertsten Feinden des Botschafters gehörte und ihren ganzen Einfluß bei dem Kaiser aufbot, um die Sache zu vereiteln119. Wahrscheinlich wurde die Rolle der Fürstin diesfalls übertrieben. 119 Telegramm von Langenau 28. Mai 1878: „Wenn, wie es wohl kaum mehr zu bezweifeln ist, General Schuwaloff Rußland auf dem so gut wie gesicherten Congreß vertritt, so glaube ich Euer Excellenz die Überzeugung aussprechen zu sollen, daß er seinerseits alles mögliche anwenden wird, um ein friedliches Resultat zu erreichen. Ein solches würde wohl nur ihn für die Zukunft zum russischen Staatskanzler möglich machen“; 2. Juni: „Ich hatte aus verläßlicher Quelle gehört, Fürst Gortchacow wolle, wenn es sein Zustand erlaubt, selbst zum Congreß kommen. Auch Graf Schuwalow, welcher ihn begleitet, wünscht dies, weil er so, wenn er dann Reichskanzler wird, dem Odium entgeht, einen jeden­falls in ganz Rußland sehr unpopulären Act unterschrieben zu haben.“ — Baron von Mayr an Andrássy (Privatbrief) St. Petersburg 30. Aug./ll. Sept. 1878. Wien. — Gorcakows Empfehlung zum Staatskanzleramt: oben S. 134! 139

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