Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
Eine Überraschung war es für den konservativen deutschen Diplomaten, Graf Suwalow — wie Langenau einen weniger bemerkenswerten Mann in dem wandelbaren, aber doch von jeher liberal gefärbten Jomini gefunden hatte — „auf dem Wege zu verfassungsmäßigen Zuständen“ zu sehen. Er ging freilich dabei nicht so weit wie der Sohn des schweizerischen Generals im Ministerium des Äußeren, der im Januar eine Art verstärkten Reichsrat verlangt hatte, in dem Abgeordnete aus den Provinz- und Stadtrepräsentationen des Reiches einberufen werden sollten, um bei der Finanzkontrolle und überhaupt als eine Garantie dafür zu wirken, daß der Souverän nicht allein für alles, was geschehe, die Verantwortung zu tragen habe. Suwalow wollte die Ruhe, Ordnung und Sicherheit des Reiches auf denen, die das größte Interesse daran hätten — auf „den Besitzenden“ gründen. Dies sollte teils dadurch geschehen, daß man nach einem früheren Vorschläge das Stimmrecht in „Mir“ und „Wolost’ “ allen, die für Steuerrückstände hafteten, nähme, teils in der Weise, daß man die Zemstwoversammlungen mit größeren Rechten ausrüstete. Die Vorschläge waren nicht nach dem Geschmack von Schweinitz — sein scheinbar einfaches Programm war nur eine sparsame und feste Regierung durch ein einheitliches Ministerium — aber sein Endurteil über die Stellung und die Zukunftsaussichten seines russischen Freundes in dem inhaltsreichen Briefe vom 19. Mai bezeugt, daß auch er darauf vorbereitet war, ihn die Zügel in seine Hand nehmen zu sehen, aber darum keineswegs eines solchen Ausganges gewiß: „Nicht auf bestimmte Tatsachen, sondern nur auf einzelne Wahrnehmungen und auf den Gesammteindruck gestützt, glaube ich nach der Abreise Graf Suwalows mehr als vor seiner Ankunft an die Möglichkeit, daß er in nicht zu ferner Zukunft an die Spitze der Geschäfte berufen werde. An Intrigen, welche dagegen arbeiten, fehlt es aber nicht118.“ Der Verlauf und Ausschlag des Berliner Kongresses wurden unter diesen Umständen entscheidend. Ein friedliches Resultat, meint Langenau, würde wohl für die Zukunft ihn und keinen anderen zum Staatskanzler möglich machen. Den Unwillen über die unvermeidlichen Zugeständrung, 17. Mai (Dito): Suwalows eigene Aussage; 18. Mai (Dito): „Giers gab mir zum ersten Male zu, daß wenn Graf Schuwalow reussire, derselbe berufen sein wird, eine große Rolle in Rußland zu spielen“; 20. Mai/1. Juni (Privatbrief): der Tadel. Wien. —Die Große Politik, II S. 307 ff.: Schweinitz an B. v. Bülow 19. Mai 1878 über den Aufenthalt Suwalows in Petersburg, S. 309: dessen Kritik der Fehler der russischen Leitung. 118 Langenau an Andrássy 3./15. Jan. 1878: die Äußerungen Jominis. Wien. Die Große Politik, II S. 310: Schweinitz’ Brief 19. Mai, Suwalow betreffend. 138