Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
nisse betreffend, ihn immer eines gewissen Einflusses auf diesem Gebiete versichern würden: geschmeidig und dazu von mächtigen Freunden begünstigt, werde er überhaupt früher oder später voraussichtlich auf einem anderen hervorragenden Posten auftreten. Die Vorhersage traf zu, denn Ignatiew übernahm in der ersten Regierungszeit Alexanders III. das wichtige Ministerium des Innern, wo er freilich nur während einer kurzen Übergangsepoche seinen Platz behauptete116. Es ist daher nicht überraschend, daß die Reise Suwalows von seinem Londoner Posten nach Petersburg, wo er vom 12. bis zum 18. Mai 1878 verweilte, die Gerüchte von seiner Übernahme der Leitung der äußeren Politik in neuen Umlauf brachte. Giers erklärte indessen, und der Graf bestätigte es, daß er selbst zu kommen gewünscht hatte, in dem Gedanken, daß er im persönlichen Umgang mit dem Kaiser für eine friedliche Lösung und für den Zusammentritt des Kongresses mehr als durch lange Depeschen werde tun können. Andere Kombinationen hätten nach dem Adjoint Gorcakows nicht eingewirkt, wenn sie auch darum nicht für ausgeschlossen gelten müßten. Das Auftreten Suwalows machte augenscheinlich einen kräftigen Eindruck. Giers, der bei mehreren seiner Gespräche mit dem Souverän zugegen und selbst eine äußerst vorsichtige und zurückgezogene Natur war, bewunderte die am Petersburger Hofe nicht gewöhnliche offene Sprache, die der Graf für eine Versöhnung und gegen die aufgeregte öffentliche Meinung führte. So gelang es dem Botschafter auch, nach dem Zeugnis Generals von Schweinitz, ein Hauptziel seiner Reise zu erreichen, indem er den ignatiewschen Einfluß noch mehr zurückdrängte. Jetzt gab sogar Giers — zum erstenmal — zu, daß Suwalow, wenn es ihm gelinge, seine Politik durchzuführen, dazu berufen sein könne, eine große Rolle in der Geschichte Rußlands zu spielen. Doch nie verstummte der Tadel. Fast sogleich hörte man, daß der Botschafter bei seinem Besuche in der Hauptstadt an den Gestaden der Newa nicht für Rußland, sondern für England gearbeitet habe, und auch Schweinitz bekam den Eindruck, daß Graf Suwalow nach seinem langen Aufenthalte auf britischer Erde nicht mehr „russisch genug“ sei: er fand seine Kritik der politischen Fehler, deren sich die russische Regierung schuldig gemacht hatte, allzu streng, wiewohl diese Strenge in seinem heftigen Widerwillen gegen General Ignatiew ihren Grund und ihre Erklärung haben könne117. iw Telegramm von Langenau 1. Mai 1878 (Ernennung Lobanows); Langenau an Andrássy 26. April/8. Mai. Wien. 117 Langenau an Andrássy 4. Mai (Telegramm), 5. Mai (Dito): Giers’ Erklärung, 28. April/10. Mai (Privatbrief), 16. Mai (Telegramm): Giers’ Bewunde137