Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
Nächten, außerstande, die Angelegenheiten zusammenhängend zu erledigen, aber doch geistig stark und willenskräftig genug, um sie nicht ganz aus seiner Hand zu lassen. Trotz des erneuten schweren Krankheitsanfalles mit Gicht an den Füßen, der von Ende April bis Anfang Juni dauerte, wurde es auch dem Staatskanzler, gegen die Vermutung Langenaus, aber nach seinem eigenen, lebhaften Verlangen möglich, bei dem Berliner Kongreß sich einzufinden. Die Eisenbahnfahrt nach Berlin war überhaupt der erste Anlaß nach seiner Genesung, bei dem er sein Haus verließ 115. Die Aussichten Ignatiews waren Anfang Mai im Sinken. Zum Minister in Konstantinopel wurde Fürst Lobanow-Rostowskij ernannt, der denselben Auftrag schon vor ihm bekleidet hatte und einmal nach viel jährigem Warten das Ziel seines Ehrgeizes mit dem Amte des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten erreichen sollte (1894—95). Der General und die Gräfin schienen sich der Rückkehr nach dem Goldenen Horn gewiß gefühlt zu haben; er suchte jetzt seine Enttäuschung durch die Behauptung zu verbergen, man bedürfe seiner Dienste für den Berliner Kongreß. Was seine Aktien definitiv zum Fallen brachte (Langenaus Ausdruck am 8. Mai), war mutmaßlich, wenigstens zum guten Teil, sein Mißerfolg in Wien, wo Andrässy und Franz Joseph unerbittlich bei ihrem Widerstande in der bulgarischen Frage beharrten. Ihr Gesandter sieht darin ein Glück, während er gleichzeitig zugibt, daß die Erfahrenheit und die Kenntnisse des Generals, orientalische Verhält115 Langenau an Andrässy 4./16. April 1878 (entziffertes Schreiben): Gorca- kows abnehmende Geisteskräfte; 24. April (Telegramm): der Kanzler wieder krank und außer Stande, die laufenden Angelegenheiten zu besorgen; 26. April (Telegramm): der Zustand seit gestern besser; 13. Mai (Telegramm): neuer Gichtanfall mit Fieber; 16. Mai (Telegramm): Gorcakow fängt wieder an, sich mit den Geschäften zu befassen; 9. Juni (Telegramm): Suwalow und Oubril fahren nach Berlin heute, Gorcakow morgen; neulich großer Ministerrat unter dem Präsidium des Kaisers in der Wohnung des Kanzlers; „Überhaupt ist Eisenbahnfahrt sein erster Ausgang seit seiner Krankheit“; 30. Mai/11. Juni: der Fürst reiste gestern ab. Wie n. Schweinitz, Denkwürdigkeiten, II S. 17, 19, 27, 29—32 und 115 f. Die Große Politik, II S. 307 ff.: Schweinitz an B. v. Bülow St. Petersburg 19. Mai 1878 (Gorcakows Krankheit, Suwalows Heimkunft und Besuch bei dem Kanzler). In betreff der Krankheit Fürst Gorcakows und der Aussichten für sein Erscheinen beim Berliner Kongreß finden sich weitere Angaben in den Briefen Langenaus 27. April/8. (!) Mai, 20. Mai/1. Juni, 24. Mai/5. Juni, Wien. In den zwei ersteren glaubt der Gesandte nicht, daß der Fürst werde teilnehmen können. 136