Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
Zu gleicher Zeit schien der Stern Ignatiews im Steigen. Fürst Gor- cakow konnte während seines Aufenthaltes in Bukarest keine zusammenhängende und maßgebende Einwirkung auf die Leitung der Geschäfte ausüben. Er klagte selbst (im Dezember), daß schon vor dem Kriege die wichtigsten Fragen in Komiteeverhandlungen mit einigen Großfürsten, einigen Ministem, dem Chef des Flofes Grafen Adlerberg — Nachkomme eines schwedischen Erzbischofs in den Tagen Karls XI. — und anderen erörtert worden wären109. Ignatiew dürfte — neben Neli- dow — seine Hand mit im Spiele gehabt haben bei der Abfassung der Mitteilungen von den Absichten Rußlands, die von Poradim am 9. Dezember nach Wien ausgingen; er bekam nach dem Waffenstillstände von Kazanlik, wo schon die Grundlagen des Friedens nach russischem Machtgebot festgelegt wurden, die Leitung der Friedensverhandlungen, die zu einer Lösung der Balkanfragen in allslawischem Geiste führten, so unähnlich wie nur möglich dem beim Kriegsausbruch geforderten „kleinen Frieden“ Peter Suwalows. Es ging schon daraus hervor, daß seine bei der Jahreswende verkündete Aufnahme in den Reichsrat, während gleichzeitig sein Vater („General Ignatiew I.“) Graf wurde, nicht in diesem Falle in sonst gewöhnlicher Weise als ehrenhafter Austritt aus dem aktiven Dienst gedeutet werden durfte. Als die starke Spannung zwischen den russischen und habsburgischen Höfen im März eine besondere Mission notwendig machte, war es wieder der jüngere Ignatiew („General Ignatiew II.“), der den Auftrag erhielt, trotz der sehr geteilten Meinungen, die über sein Auftreten während der Rundreise des vorigen Frühlings herrschten. Es sah so aus, als ob er in der Gunst des und Konstantinopel: Schweinitz, a. A., I S. 442; Goriainow, Le Bosphore et les Dardanelles, S. 357. Hinsichtlich der erwogenen Besetzung Konstantinopels vgl. Tatiscew, Imperator Aleksandr II, II S. 435ff.; Elie Cyon, La guerre russo- turque d’aprés des documents inédits, anonymer Aufsatz in „L a Nouvelle Revue“ (Paris 1880), IV S. 767ff.; Goriainow, Le Bosphore et les Dardanelles, S. 360ff.; M. N. Pokrowskij, Diplomatija i vojny carskoj Rossii v XIX s t o 1 e t i j, S. 291 ff. (Moskau 1923). — Ich verdanke diese Hinweise Herrn Cand. Phil. Olof Jägerskiöld. 109 Schweinitz, Denkwürdigkeiten, I S. 442f. Buckle, Life of Disraeli, VI S. 185 (Beaconsfield an Königin Viktoria Brighton 10. Okt. 1877 über Äußerungen Suwalows bei einem Besuche am vorigen Tage): „His Excellency occupied the whole time — about 55 minutes out of 60. He said, ’I have nothing to do; nothing can be done. Diplomacy has ceased. The position of Gortchakoff at Bucharest is humiliating. Nobody writes to him, nobody notices him. He says himself, I am shelved.’“ — Das Geschlecht Adlerberg leitet seinen Ursprung von Erzbischof Svebilius (1624—1700) her. 132