Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

Operationen auf die Hauptstadt des Sultans und ihrer vorübergehenden Besetzung mit russischen Truppen. In dieser Beziehung eine absolute Verpflichtung abzugeben, hieße den Starrsinn der Türken bis aufs äußerste steigern und den Krieg ewig zu machen. Alexander versicherte dennoch, daß er — in Übereinstimmung mit dem Gedankengang Suwa- lows — am liebsten schon nördlich des Balkans Frieden schließen werde, und er schlug für diesen Fall glimpfliche Bedingungen vor. Innerhalb vierzehn Tagen nach Untersuchungen an Ort und Stelle wurden jedoch diese dahin verändert, daß die russische Regierung ihren ursprünglichen Gedanken, die Balkankette zur Südgrenze des neuen Bulgariens zu machen, aufgab — eine Unbeständigkeit, die in London vermehrte Un­ruhe zu erwecken nicht verfehlte. General Le Flö, der auf Befehl von Decazes von französischer Seite aus um erneute Sicherheitsversprechun­gen für die Stadt am Bosporus vorstellig geworden war, bekam sie anfangs unvermindert, aber durch ein vertrauliches Schreiben des Baron Jomini wurde schon am selben Abend dieselbe Auslegung wie England gegenüber hinzugefügt96. Alexander wurde nach Rumänien, wo die russische Armee ihren Donauübergang vorbereitete, sowohl von Ignatiew wie von Gorcakow begleitet, welch letzterer jedoch während des Fortganges des Feldzuges in Bukarest verweilte und auf die Ratschläge des Zaren keinen regel­mäßigen Einfluß besaß. Aber die diplomatische Spannung, vor allem zwischen England und Rußland, die noch im Juni stark war, wurde not­wendigerweise bis auf weiteres gedämpft, als die ersten russischen Erfolge von Rückschlägen, in Asien ebenso wie in Europa, abgelöst wurden und die russischen Heere auf lange Monate hinaus vor Kars, Plewna und Ruscuk sowie in den Balkanpässen wie festgenagelt stehen blieben. In Rußland selbst wurde die Aufmerksamkeit vor allen Dingen von dem Kampfe gegen die Osmanen gefesselt, die noch einmal eine unerwartete Widerstandskraft an den Tag gelegt hatten. Der Gang der Ereignisse gab in weitem Maße den Kritikern der russischen Armee Recht: dem britischen Militärattache Oberst Wellesley, dessen Äußerungen über ihre aß Schweinitz, Denkwürdigkeiten, I S. 424 (Abreise Alexanders 2. Juni). — Aufzeichnung B. v. Bülows 10. Juni 1877: Mitteilungen Oubrils am selben Tage von dem Auftrag Suwalows nach London; Stolberg an B. v. Bülow Wien 19. Juni (Ausfertigung): Mitteilungen des englischen Botschafters betreffs veränderter russischer Absichten, die Südgrenze Bulgariens angehend. Berlin. Langenau an Andrássy St. Petersburg 25. Mai/6. Juni (Privatbrief): Le Flös Auf­trag. Wien. — Vgl. Hans Plehn, Bismarcks auswärtige Politik nach der Reichsgründung, S. 96ff. (München 1920). 124

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