Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
Aber auch in Rußland, wo die Friedensstimmung einige Zeit nach Neujahr so ausgeprägt gewesen, vielleicht nicht zum mindesten im Gefühl der schwachen finanziellen Lage des Reiches und in der Ungewißheit, ob sechs mobilisierte Armeekorps dazu ausreichen würden, das türkische Heer niederzuwerfen, wo Langenau noch im Februar von kriegerischem Geist außerhalb des Generalstabes kaum etwas wissen wollte, und wo ein General aus der nächsten Umgebung des Oberbefehlshabers Großfürst Nikolaus noch Anfang März sein lebhaftes Erstaunen über die Friedensliebe ausdrückte, die ihm in den leitenden Kreisen Petersburgs begegnete — auch dort trat jetzt ein starker Umschlag ein. Scheinbar unterdrückte oder zurückgedrängte Kräfte machten sich wieder geltend, und die Wiederkunft Nikolaj Ignatiews gab ihnen vielleicht vermehrte Stärke. Da man sich nunmehr jedenfalls der wohlwollenden Neutralität Deutschlands und Österreichs vergewissert hatte und auf die Freundschaft Frankreichs und Italiens zählte, mochte ja ohnedies der Augenblick für eine kriegerische Abrechnung mit einem eigensinnig widerspenstigen Gegner nicht übel gewählt erscheinen. Mehrfach scheint man daneben auf einen Ministerwechsel in England seine Hoffnung gesetzt zu haben. Am 19. April reiste Zar Alexander in das Hauptquartier der Armee nach Kizinew ab, von Ignatiew, wie man sagte, als Chef der diplomatischen Kanzlei begleitet; den 12./24. April ging von Kizinew und Petersburg das russische Kriegsmanifest aus. Andrässy hatte in letzter Stunde, auf die Freundschaft der Regierungen und die heikle Lage Österreichs verweisend, ein vertrauliches Ersuchen gestellt, daß man bei der Abfassung nicht zu viel Gewicht auf die slawischen Interessen legen möge. Es heißt auch, daß es nicht den Beifall der eifrigsten Richtung fand („Parti avancé mécontent du manifeste“: Telegramm von Langenau in Petersburg am 27.) 89. 89 Langenau an Andrässy St. Petersburg 13./25. Jan. 1877 (Privatbrief), 28. Jan,/9. Febr. (Dito), 18. Febr./2. März (Dito), 30. März/11.April; Telegramm von Langenau 15 April („L’Empereur Alexandre part pour Kischeneff le 19 avril au soir“) und 24. April; Telegramm von Andrässy an Langenau Wien 16. April (Konzept), von Langenau an den Minister des Äußern St. Petersburg 27. April (entziffert). Wien. — Vgl. Goriainow, Le Bosphore et les Dardanelles, S. 344, und bezüglich der entscheidenden Faktoren die Aussage des Militarattachés Oberst Wellesley in Letters of Queen Victoria 1862—1878, II S. 560 (Auszug aus dem Tagebuch der Königin Osbome 8. Aug. 1877): „Colonel Wellesley described the Emperor of Russia as most unhappy, being the greatest enemy of war and most anxious for peace, but that he had been forced into it. Qortchakoff and Ignatieff were the promoters, and the Empress and Mr. Gladstone’s attitude the chief causes in bringing it about. Nothing Colonel Wellesley could say would 120