Historische Blätter 5. (1932)
Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow
jetzt abgeschlossene Abkommen unwirksam machen oder wenigstens sein Inkrafttreten lange verzögern könnten: es könne eintreffen, daß die Russen langsam vorrückten, daß sie sich mit der Pforte und mit Europa über genügende Garantien einten oder sogar, daß sie geschlagen würden. Daß sich der Krieg in die Länge ziehen werde, darauf war man in Wien vorbereitet, weil die Absicht der Türken dahin ging, offene Feldschlachten zu vermeiden 88. * * * Noch im Anfang des März hatte Kaiser Alexander an die Möglichkeit einer friedlichen Lösung geglaubt, die im Zusammenhang mit der europäischen Reise Ignatiews und dem Vorschläge, die Forderungen an die Türkei in einem von den Mächten unterschriebenen Protokoll zu- sammenzufassen, zu erreichen wäre; der Kaiser bezeichnete es (in einer Unterredung mit Schweinitz) ausdrücklich als seine eigene Idee, die Pforte in dieser Weise zu dar Reformen zu verpflichten, die der Großwesir Edhem Pascha durchzuführen sich erboten hatte. Ignatiew hatte in der Tat in Berlin einen gewissen Erfolg gehabt; es ist auch selbstverständlich, daß die Aufgabe dort am leichtesten war. Es scheint zudem, daß der General dort im ganzen, wenn auch gar nicht ausnahmslos, mit Einsicht und Mäßigung aufgetreten ist, indem er von der deutschen Allianz als der für Rußland allein möglichen sprach und zugleich erklärte, daß er mit den Zusicherungen, die Fürst Bismarck beim Kriegsausbruch (aber nicht früher) abzugeben gewillt war, zufrieden sei: nicht nur wohlwollende Neutralität, sondern auch ein diplomatisches Verhalten anderen Mächten gegenüber, das geeignet wäre, das Aufkommen Rußland feindlicher Koalitionen zu verhindern. Das Mißlingen in London gab bald diesen deutschen Versprechungen Aktualität. Das türkische Zirkular an die Gesandten der Pforte vom 10. April, das ihre Antwort an die Mächte enthielt, zerstreute die letzten Friedenshoffnungen; der Eindruck ward, wie es Schweinitz bezeugt, durch die stolze Sprache und die vollendete Form verschärft 88a. S8 B. v. Bülow an Stolberg Berlin 3. April 1877 (Konzept); Stolberg an Bülow Wien 8. und 21. April, Telegramm 1. Mai; Aufzeichnung von Bülow Berlin 5. Mai (Konzept und Reinschrift); „Convention additioneile“ Budapest 15. März (zwei Abschriften; auf der einen findet sich die Bemerkung, daß die Abschrift nach der von Károlyi am 5. Mai mitgeteilten Kopie genommen sei, die am 6. zurückgegeben wurde). Berlin. 88a Schweinitz, Denkwürdigkeiten, I S. 401 ff., 414f. Die Große Politik, II S. 137 f.: B. v. Bülow an Schweinitz Berlin 8. März 1877 über die Unterredung Bismarcks mit Ignatiew. 119