Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

sei, unter dem Beifall Rußlands und womöglich auch Westeuropas seine öffentliche Laufbahn abzuschließen und seine letzten Jahre in einem mil­den Klima, im vollen Schimmer seines Ruhmes und seiner Beliebtheit zu­zubringen. Aber in dieser Hinsicht waren ja die Aussichten unbestreitbar •recht ungewiß. Auch bei Schweinitz tritt Stremouchow auf, den er den ge­fallenen Schützling des Kanzlers nennt. Er hatte dem Orientalischen Departement lange Jahre vorgestanden und dabei die „slawophile“ oder vielmehr panslawistische Agitation der russischen Konsuln auf der Balkanhalbinsel gefördert76 — Karcow in Belgrad war eine seiner „Kreaturen“ —; er nahm jetzt nicht ohne Schadenfreude die Schwierig­keiten wahr, die seinem vorigen Gönner, vor allem im Zusammenwirken mit Ignatiew, begegneten; er erlaubte sich, dem Fürsten zu sagen, da er nicht mit voller Sicherheit die ganze Wahrheit von dem, was in Konstantinopel geschehe, kenne, könne es ihm begegnen, „falsch zu singen“. Dürfte man ohne weiteres einem Urteil vertrauen, das sichtbar von persönlichem Groll beeinflußt war, so war die Stimmung in Moskau zu jener Zeit sehr gedrückt, das Mißvergnügen mit der Politik Fürst Gorcakows sehr stark und seine ganze Popularität — auf die er selber so viel Wert legte — geschwunden 77. Suwalow steht noch immer als verhältnismäßig wohlgesinnt da — bis zu einem gewissen Grade ein Freund Deutschlands, und zwar unter den russischen Staatsmännern der einzige. Die eigenen Mitteilungen Kaiser Alexanders aus einem Briefe des Gesandten aus London vom 16. Januar zwangen jedoch Schweinitz, seine Regierung von lebhaften Klagen des Botschafters zu benachrichtigen. Es handelte sich dabei um mangelnde deutsche und österreichische Unterstützung — die Folge sei, daß das britische Kabinett jetzt nicht mehr an die Existenz des Drei­kaiserbundes glaube, und dieses Verhältnis habe auf die Haltung der Pforte eine schädliche Rückwirkung. Suwalow, der wie sein Chef die ganze Frage als europäische und für die Christenheit gemeinsame, nicht als ausschließlich russisch-türkische behandelt zu sehen wünschte, erbat sich eifrig neue Vorschriften, und bezeichnend genug direkte — nicht durch Ignatiew! — Mit seinem französischen Kollegen Marquis d’Har- court war Suwalow dagegen sehr zufrieden, und ohne Zweifel ist die Ansicht Schweinitz’ richtig, daß dessen Neffe, Herzog Decazes, nur durch 76 Die Slawophilie war wie bekannt eine kulturelle Bewegung, der Pan­slawismus hingegen politisch. Da sie aber auf einander einwirkten und teilweise zusammenfließen, wurden diese Begriffe nicht immer gesondert gehalten. 77 Schweinitz, Denkwürdigkeiten, í S. 367f. (vgl. S. 395f.), 377. 111

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