Historische Blätter 5. (1932)
Ferdinand Bilger: Karl Albert von Sardinien und General Thurn
hatte, der keine offizielle Quelle zu seiner Verfügung gehabt habe 12. Er hatte, als er jetzt die Akteneinsicht für Professor Luzio verweigerte, mehr in der Stimmung des patriotisch verletzten Offiziers, als in dem Verantwortungsgefühl des Leiters einer wissenschaftlichen Anstalt gehandelt, ohne zu wissen, daß derselbe Mann, den er in dieser Stunde zurückwies, eben jetzt an der Ehrenrettung einer bisher den Italienern tief verhaßten Persönlichkeit, des österreichischen Richters in den Prozessen von 1821, Antonio Salvotti, mit bedingungslosem Wahrheitswillen arbeitete13. Heinrich Friedjung übersandte das erhaltene Schreiben sogleich an Professor Luzio, der es begreiflicherweise in seiner Radetzky-Biographie weiteren Kreisen zugänglich machte 14. Um fast ein Jahrzehnt später, als die Leitung des Kriegsarchives bereits in liberalere Hände übergegangen war, versuchte Professor Luzio nochmals, in die Aktenbestände Einsicht zu erlangen. Ein „ausgezeichneter Wiener Gelehrter“ erbat in seinem Aufträge, die Feldakten auf unsere Frage studieren zu dürfen. Das Ansuchen wurde bewilligt, der Gewährsmann Luzios durchsuchte die Akten des IV. Armeekorps und sah die Berichte über die Ereignisse vom 20. bis zum 25. März, die General Thurn an Radetzky gesandt hatte. Aber — von einem Zusammentreffen Thurns mit Karl Albert stand in den eingesehenen Stücken kein Wort. Die Unauffindbarkeit der entscheidenden Relation, von der Feldmarschalleutnant Wetzer doch so bestimmt gesprochen hatte, gab leider dem italienischen Forscher Anlaß zu nicht ganz unberechtigten Glossen 15. Gegenüber dieser Sachlage ist es heute, wo unter der Leitung des Archivdirektors von Glaise-Horstenau der streng wissenschaftliche Stand12 Siehe oben, Anmerkung 1; im Brief an Pillersdorff vom 21. Juni 1852. 13 Das Buch Luzios über „Antonio Salvotti e i processi del Ventuno“ erschien 1901. Über A. Luzio siehe auch das günstige Urteil Heinrich von Srbiks in der Einleitung seines „Metternich“. 14 Siehe oben, Anmerkung 11; Heinrich Friedjung machte von der Übersendung der Antwort Wetzers an Luzio an ersteren sofort Mitteilung und drückte zugleich seine Überraschung über den Ton der Belehrung quellenkritischer Natur in dem Briefe des Kriegsarchivdirektors aus (Schreiben Friedjungs an Feldmarschalleutnant Wetzer vom 30. April 1900, KA. Nr. 263 ad). 15 A. Luzio a. a. O., S. 129, Anm. 1. Der Name des „egregio studioso di Vienna“ wird leider nicht näher genannt. Ich bin übrigens überzeugt, daß ähnliche, von Prestigegründen geleitete Gesichtspunkte überall dort, wo es sich um Dinge der nahen Vergangenheit handelt, auch heute gerade in den Archiven der modernen Machtstaaten sehr wohl Vorkommen dürften, wenn sie nicht überhaupt für gewisse Zeiträume von vornherein gesperrt sind. 10