Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

seine Gesinnungsgenossen im stillen angespomt, die Forderungen der Mächte ablehnte. Eine russische Separataktion rückte damit wieder in den Gesichtskreis; vorerst aber tat Fürst Gorcakow alles, um das Geschehene als einen Schimpf gegen „Europa“ erscheinen zu lassen und die Mächte dadurch zum neuerlichen und wirksameren Eingreifen zu bewegen. Während die beabsichtigte und endlich am 18. März vollendete Zusatz-Konvention zur Januarabkunft mit Österreich trotz der Besorg­nisse Andrässys lange auf sich warten ließ, suchte das russische Kabinett ein näheres Verhältnis zu England zu erreichen, und Peter Suwalow tat in London sein Bestes, um das Vertrauen der britischen Regierung zu den Führern der Donaumonarchie zu trüben. Diese Episode ist für die damalige Lage so bezeichnend, daß sie eine gewisse Aufmerksamkeit verdient. In Berlin bekam man das keimende Mißverständnis zu fühlen, als Andrässy (am 11. Februar) dem Gesandten Graf Stolberg gegenüber klagte, daß zuerst Suwalow und dann Münster mit Graf Beust, dem Repräsentanten Franz Josephs an der Themse, von der österreichisch-russischen Konvention gesprochen habe, die ja, ab­gesehen von den gegenseitigen Mitteilungen an das deutsche Auswärtige Amt, ein tief verborgenes Geheimnis sein sollte und die Andrässy daher sogar dem Botschafter der Doppelmonarchie am Hofe Königin Viktorias verschwiegen hatte. Münster bestritt es bestimmt, und soweit es ihn betraf, ward es allmählich klar, daß ein Irrtum im Spiele war. Suwalow bestritt die Bezichtigung ebenfalls, aber im tiefsten Vertrauen wußte er sogleich seinem deutschen Kollegen mitzuteilen, daß Sir Andrew Bu­chanan (englischer Gesandter in Wien) mit Nowikow von dergleichen Gerüchten gesprochen habe, die ihn aus London erreicht hätten 64. Das Heikle an der Sache lag für Andrässy nicht zum mindesten darin, daß die öffentliche Meinung Ungarns jede Verbindung mit Rußland scharf verurteilte und daß die Schwierigkeiten, die seiner Politik unter den leicht erregbaren Magyaren schon im voraus begegneten, sich noch vermehren mußten, wenn diese von geheimen Abmachungen mit dem Zarentum eine Ahnung bekämen. Bülow — mutmaßlich auf höheren Befehl — setzte Kaiser Wilhelm auseinander, daß man Ursache habe, russische Intrigen zu vermuten, weil Zar Alexander gewiß Graf Andrässy zu 04 Entzifferte Telegramme an das deutsche Auswärtige Amt von Graf Stolberg Wien 11. Febr. 1877, von Graf Münster London 12. Febr. (zwei Stück); Briefe von Stolberg an B. v. Bülow (Ausfertigungen) Wien 15. und 19. Febr. Berlin. 103

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