Historische Blätter 4. (1931)
Ferdinand Bilger: „Großdeutsche“ Politik im Lager Radetzkys
Oktober in Wien „eine Deutsche genannt hatte“ 58, schwarz-rot-gold, Germanismus, Radikalismus, Republikanismus waren in der österreichischen Hauptstadt gleichbedeutende Begriffe geworden 59. „Von der jubelnden Begrüßung der ungarischen Gesandtschaft in der Paulskirche bis zu dem verhängnisvollen Barrikadenkampf Robert Blums“ 60 sah man im kaiserlichen Lager nichts als Verletzungen des österreichischen Staatsgefühls. Von eben dieser „deutschen Revolution“ in Wien war der Kriegsminister Latour ermordet, dessen energischer Amtsführung im letzten Grunde Radetzky seinen Sieg verdankte61, die Kroaten des Banns waren es, die den Staat wieder auf rich ten halfen, so wie es Jellachich am 22. Oktober an den Prager Verein der „Slovanska lipa“ schrieb: „das Slaventum ist die festeste Stütze Österreichs“ 62. Das war das Bild, wie es sich in den ersten Novembertagen von 1848 im Hauptquartier Radetzkys von den großen Begebenheiten der letzten Wochen abspiegelte. Wie ferne erschien gegenüber diesen, am eigenen Leben gefühlten Tatsachen die Gefahr des Panslavismus, welchen dieselben Abgeordneten der Linken jetzt im Frankfurter Parlament hinzeichneten 63! Erst aus diesem unmittelbaren Hintergründe der Zeit kann die Kundgebung des Feldmarschalls vom 9. November 1848 richtig verstanden werden. 58 Augsb. Alig. Zeitg. 1848, IV. 5326, Korrespondenz aus Wien. 50 Augsb. Alig. Zeitg. 1848, IV. 5492, Brief aus Wien. 80 Siehe Anmerkung 59. 61 Die ganze Folge der Dokumente des Wiener Kriegsarchivs aus dem Hauptquartier Radetzkys für die Frühlingsmonate von 1848 gibt davon Zeugnis 02 Das Schreiben Jellachichs an die „Slawische Linde“, „das mittels eigenen Kuriers abgesendet wurde“, in Augsb. Alig. Zeitg. vom 5. November 1848. (Korrespondenz aus Prag.) Es heißt darin, „daß das Slaventum die festeste Stütze Österreichs, daß aber auch Österreich für das Slaventum notwendige Bedingung ist, daß er die antiösterreichische Partei in Pesth demütigen und vernichten wollte, später aber, als die gemeinsamen Feinde in Wien ihr Haupt erhoben, mit seinem Heere gegen Wien eilte.. 63 Vgl. insbesondere die Rede des österreichischen Abg. Berger in der Paulskirche am 23. Oktober 1848: „Auf der einen Seite steht der reaktionäre Hof gestützt auf die Slava, und seine materielle Macht ist die Armee unter Windisch- grätz und Ban Jellachich. Auf der anderen Seite steht die Sache der Deutschen in Österreich, welche allerdings demokratisch ist“ (Sten. Bér. IV. 2817). Reitter von Prag in derselben Sitzung in Verteidigung der Wiener Revolution im gleichen Sinne. (Sten. Ber. 2813.) Vogt von Giessen verliest die Adresse der Wiener Studenten und spricht im Anschluß daran direkt von den Gefahren des „Panslavismus“ (Sten. Ber. IV. 2825). Auch Ludwig Uhland weist in seiner berühmten Rede vom 26. Oktober auf die Gefahr der Hochspannung des slavischen Nationalgefühls hin. (Sten. Ber. IV. 2876.) 18