Historische Blätter 4. (1931)
Ferdinand Bilger: „Großdeutsche“ Politik im Lager Radetzkys
es möglich ist, die deutschen Provinzen Oesterreichs aus einem Staatsver- bande herauszureißen, in dem sie Jahrhunderte lang ihr Glück und ihren Wohlstand gefunden. Glaubt man denn ernstlich in Frankfurt, daß das mit einem Votum möglich sey? In meiner Brust schlägt ein treues deutsches Herz: aber wahrlich um diesen Preis müßte ich es zum Schweigen bringen. Man faselt viel in Deutschland von den Gefahren des Pan- slavismus; man thut aber wirklich alles, um dieses Gespenst zu verkörpern, denn schon ist Empörung fast identisch mit deutsch geworden. Oesterreich mit seinen nichtdeutschen Provinzen zählt 38 Millionen, möge man das in Frankfurt nicht vergessen, und sich nicht mit einem starren Deutschthum um einen solchen Bundesgenossen bringen. Oesterreich wird sich eher von Deutschland als von Oesterreich trennen. Die Zeit wird lehren, ob ich in meinen Ansichten irre 54.“ Wir erinnern uns sogleich an Radetzkys theoretische Feststellung der Möglichkeit eines Ausscheidens Österreichs aus dem Deutschen Bunde in der Denkschrift von 1828. Jetzt steht der Gedanke in fast erschreckender Wirklichkeit vor uns: „Oesterreich wird sich eher von Deutschland als von Oesterreich trennen!“ Aber gerade bei dieser Kundgebung des österreichischen Feldherrn dürfen wir am wenigsten vergessen, wie sehr sie durch die unmittelbaren Zeiterlebnisse bedingt war. So wie die Entscheidung über die beiden Verfassungsartikel in Frankfurt am 27. Oktober durch die Linke gebracht worden war, die in diesem Augenblicke mit einer Zerstückelung Österreichs 55 rechnete: der Oktoberaufstand in Wien noch unbezwungen, ein neuer Waffengang in Italien bevorstehend, Jellachich mit seinen Kroaten von dem Gegenschlage der Ungarn zurückgeworfen, Kossuth auf der Höhe seiner Erfolge: ebenso wirkten jetzt dieselben Zeitereignisse in ihrem sich eben vollziehenden Wandel im Lager Radetzkys. Schon am 30. Oktober hat der Banus bei Schwechat das Hilfskorps der Ungarn besiegt, am 31. Oktober ist Wien von den kaiserlichen Truppen eingenommen, am 2. November zieht Jellachich mit seinen Kroaten in die Stadt ein, in der die schwarz-rot-goldenen Farben vor der kaiserlichen Fahne in den Staub sinken 56. Die Rettung Wiens war ein der gesamten deutschen Demokratie gemeinsames Schlagwort gewesen 57, die Linke in Frankfurt war es, welche die Revolution des 54 Wer der Verfasser des Konzeptes ist, konnte ich leider nicht feststellen. Es liegt nahe, an FML. Schönhals zu denken. 55 So sehr treffend Stern, Geschichte Europas VII. 315. 66 Stern, Geschichte Europas VII. 282. Dazu die Berichte in der Augsb. Alig. Zeitg. vom 7. November 1848. Beilage. 157 Stern a. a. O. VII. 295. 2 17