Historische Blaetter 3. (1921-1922)

Heinrich R. v. Srbik: Die deutsche Einheitsfrage in der Frankfurter Nationalversammlung

Idee des volklich geschlossenen Staates, in weitem Maße, wenn auch1 nicht völlig zu befriedigen? Freilich, ein Opfer an der vollen Be­wegungsfreiheit, die Österreich bisher genossen hatte und der National­staat genießen sollte, war dann unvermeidlich. .Gagems Plan des engeren und weiteren Bundes hat den .Weg gezeigt: er gab der Mehrheit des deutschen Volkes das starke Einheitsgebilde, auf das sie ein lebendiges Recht hatte, und schonte die einzelstaatlijchen Besonderheiten im Bundesstaate; er wahrte zugleich den Bestand der österreichischen Staatspersönlichkeit, den die Geschichte, Österreichs geographische (Gestalt, Gemeinsamkeiten seiner Völker und die Denkweise der Mehr­zahl des Deutsch'österreichertums verlangten; er sicherte das’ öster­reichische Deutschtum durch die Union vor dem Erdrücktwerden durch die fremdvölkische Mehrheit, er schuf durch diesen staatsrechtlich be­festigten völkerrechtlichen Bund beider Staaten ein mächtiges mittel­europäisches Bollwerk deutschbestimmter Kultur und öffnete dem' Deutschtum den lebenswichtigen Weg nach dem Osten. An der harten Wirklichkeit ist diese Idee, der keine Macht zur Seite stand, zerschellt: an dem [Widerstande der völkerrechtlichen, imbeschränkten Selbständig­keit der historischen europiäischen Macht Österreich, der .Gegnerschaft der häbsburgischen Dynastie, die auf die Führung des deutschen Bundes nicht verzichten wollte, an dem Widerstande des österreichi­schen Deutschtums, sich mit einem etwas loseren Verhältnis zu einem geeinten deutschen Reiche zu begnügen; nicht minder an den vielfältigen, der Sonderstellung Österreichs feindlichen [Gegenkräften des mittleren und südlichen Deutschlands, der Einzelstaaten., Regenten­häuser und Bevölkerungen, und der Abneigung eines Teiles Norddeutsch­lands, der eine enge Bindung des neuen Reiches an das gemischt- nationale Österreich von sich1 wies. Und doch wäre die Verwirklichung von Gagerns Idee segensreich für das deutsche Volk und für beide Staaten geworden. Das Unglück der deutschen Zukunft rührt nicht daher, daß in der Paulskirche der großdeutsche Gedanke Schiffbruch litt, sondern daher, daß die mittlere Linie und Verbindung der großdeutschen und kleindeutschen Idee, wie sie Gagern am wirkungsvollsten vertrat, ein' Gedankending geblieben ist. Im Jahre 1849 war die Realisierbarkeit dieses Gedankens noch' vor­handen. Das furchtbare Erliegen der großdeutschen Sache im Jahre 1866 ist nur die Wirkung jenes unversöhnlichen Gegensatzes der Pauls- kirche. Denn als der Mittelweg verschmäht worden war, da gab es in der grausamen Welt der Tatsachen nur noch' zwei Möglichkeiten: eine Neubelebung und Verstärkung des Staatenbundes, durch den die alte ge­schichtliche gesamtdeutsche Volksgemeinschaft aufrechterhalten, Mittel­JL

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