Historische Blaetter 3. (1921-1922)

Heinrich R. v. Srbik: Die deutsche Einheitsfrage in der Frankfurter Nationalversammlung

dachten Ordnung erreichten den Höhepunkt, als in dem ergreifenden parlamentarischen Endkampfe Berger, Sommaruga und Mö- ring einen Vermittlungsvorschlag zwischen dem Nationalstaatspro­gramm und der großösterreichischen Siebzigmillionenidee einbrachten. Der österreichische Gesaantstaat soll in den deutschen Staatenverband eintreten; es wird ein Ge s am tp a rl a in ent dieses mitteleuropäisch-deut­schen Reiches geschaffen, bestehend aus einem Staatenhause und'einem Volkshause; Österreich beschickt das Staatenhaus mit Vertretern aus allen seinen Ländern, das Volkshäus nur mit Abgeordneten aus den bisher zum deutschen Bunde gehörigen Provinzen. Das Staatenhaus ist für die auswärtige Politik, die gemeinsamen Handels-, Zoll- und und Verkehrsfragen zuständig, alle inneren deutschen Angelegenheiten beschließen beide Häuser, aber mit Ausschluß jener Mitglieder des Staatenhauses, welche mchltdeutsche Provinzen vertreten. Es ist nicht erforderlich', mit eingehender Kritik an diesen Plan heranzutreten. Im Direktorium und Staatenhause hätte Österreich nun vollends das Über­gewicht gehabt, der Dualismus Österreichs und Preußens hätte neue Nahrung erhalten, ein halbwegs deutscher Vertretungskörper wäre nur das Volkshaus gewesen, auch in ihm hätte sich die nichtdeutsfche Minderheit bald übel geltend gemacht; und wie sollten die Volksver­tretungen der nichtdeutschen Provinzen Österreichs, wenn solche ein­mal gebildet wurden, in diesen vielgliedrigen Verfassungsbau eingefügt werden? Von einem deutschen Bundesstaate war in diesem Kom­promisse, das kaum noch' großdeutsch genannt werden kann, keine Rede, ganz logisch wurde nur noch von einem deutschen Staaten- verbande gesprochen — fast wie im alten Buhde. * Realpolitisch unmöglich war damals auch der einzige klar kon­struierte Plan unter allen großdeutschen Lösungsversuchen: der .Ge­danke der radikalen äußersten Linken, den österreichischen Kaiserstaat völlig aufzulösen und eine gesamtdeutsche Republik dem überwiegend monarchistisch gesinnten Volke aufzuzwingen. Man durfte, wie Gagern gesagt hat, nur das Mögliche anstreben. Die vollste Negation des National­staates endlich bedeutete der trialistische Plan, den der Bayer Sepp auf­warf: ein Bundesstaat des ^reinen Deutschland“ steht neben den Groß­mächten Österreich und Preußen und diese Dreiheit ist überwölbt durch einen Staatenbund mit wechselndem Vorsitze oder ständigem Bundes­direktorium. Aber gab es denn keine Möglichkeit, die beiden großen, einan­der widerstrebenden Tendenzen, die der historischen Großmacht und die1 des ersehnten Nationalstaates, den alten Universalismus und die neue

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